© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Mit Feuer, Bomben und Säure
Linksextremismus: Die Politik reagiert mit Beschwichtigungsversuchen auf die wachsende Gewalt gegen Polizisten in Berlin
Ronald Berthold

Die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain ist ein gefährliches Pflaster für Polizisten. Das mußten in der vergangenen Woche auch zwei Beamte erfahren, die gerade dabei waren, die Personalien eines Mannes zu überprüfen und dabei aus einer Gruppe von Linksextremisten mit einer Flüssigkeit, vermutlich Säure, bespritzt wurden. Die Polizisten klagten danach über brennende Schmerzen im Gesicht sowie an den Armen und konnten ihren Dienst nicht fortsetzen. Dieser Vorfall ist der jüngste in einer Reihe schwerer Übergriffe von zumeist linksextremistischen Tätern auf die Polizei in der Hauptstadt.

Dabei hatten nach dem traditionellen 1. Mai alle Beteiligten versucht, die Lage schönzureden. Schon am nächsten Tag setzte die Verharmlosungsorgie ein. Die politisch Verantwortlichen und auch die Polizeiführung schwärmten regelrecht vom Ablauf der ritualisierten Krawalle in Kreuzberg. Und auch die Medien beteiligten sich am Kuschelkurs mit den linksradikalen Gewalttätern. Auf beinahe allen Radiosendern lief die Meldung: „Die Berliner feierten weitgehend friedlich den Tag der Arbeit.“

Als ob „die Berliner“ seit einem Vierteljahrhundert das Problem am 1. Mai darstellen würden. Die militanten Antikapitalisten, Antifaschisten und Autonomen sollen mit diesem Sprachgebrauch vielmehr einbezogen werden in die große Familie der Hauptstädter. Sie gehören dazu wie ein manchmal ungezogenes Kind. Ab und zu geht etwas kaputt. Aber wer könnte deshalb schon böse sein? Nach und nach kamen dann immer mehr Zahlen und Fakten ans Licht, die der Verharmlosung des Gewaltexzesses widersprachen. Bei der angeblich so friedlichen „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ und den „Feiern“ in der Walpurgisnacht wurden 124 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt.

Die Legende bekam Kratzer. Zunächst stellten sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Polizeigewerkschaft vor ihre Mitglieder. Immerhin hatten ein Viertel mehr Beamte Verletzungen durch Stein- und Flaschenwürfe erlitten als im Jahr zuvor. Weit über hundert verletzte Polizisten widerlegten die Darstellung der Politik. Dennoch ging das Kleinreden der Gewalt weiter. „Ich freue mich jetzt erst mal, daß der Polizeieinsatz so gelungen war“, sagte die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers auf der obligatorischen Pressekonferenz am Tag danach. Und auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sowie Innensenator Frank Henkel (CDU) sprachen von einem „gelungenen Einsatz“.

Doch dann überfiel eine Horde Vermummter am ersten Mai-Wochenende in der Kreuzberger Mariannenstraße ein an einer roten Ampel wartendes Polizeifahrzeug. Sie bombardierten die in dem Wagen sitzenden beiden Beamten mit einem Steinhagel, zertrümmerten die Heckscheibe, rissen die Türen auf, entzündeten den Innenraum mit bengalischen Feuern und steckten das Auto von außen mit Molotowcocktails in Brand. Wie durch ein Wunder konnten die Polizisten ihr Leben retten. Nach dem Anschlag verschwanden die mutmaßlich linksradikalen Täter unerkannt im Schutz der Nacht.

Nun mußte auch Henkel die Rhetorik verschärfen. Er verurteilte „diese heimtückische und skrupellose Tat“. Die GdP nannte das Kind dagegen beim Namen und sprach von einem „gezielten Tötungsversuch von Polizisten“. Diese Darstellung kommt der Wirklichkeit wohl näher, ist politisch aber nicht sonderlich korrekt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Politik und Polizei eine mindestens ebenso schwerwiegende Tatsache einfach verschwiegen. Am Rande der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ hatten Polizisten drei Rohrbomben entdeckt. Erst knapp eine Woche danach informierte man die Öffentlichkeit, obwohl die gefährliche Lage Eile geboten hätte. Skurrile Begründung für die Verzögerung: Die mit einem Metallmantel überzogenen Sprengsätze seien zunächst für harmlose Pyrotechnik gehalten worden. Sollte dies zutreffen, haben die Verantwortlichen offenbar noch nie einen Silvesterknaller in der Hand gehalten. Weltfremdheit in der Weltstadt. Über den Hintergrund der Bomben, die sich nach ersten kriminaltechnischen Untersuchungen als Blindgänger entpuppten, gibt es bisher nur Spekulationen. Zunächst kolportierten die Medien die naheliegende Variante. Die Sprengsätze sollten von Demonstranten auf Polizisten geschleudert werden. Aus Angst vor Entdeckung oder mangels Gelegenheit hätten sie die Täter dann ungezündet weggeworfen.

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, mußte nun die Berliner Landespolitik aufwecken und endlich Tacheles reden: Die Rohrbomben hätten „terroristischen Charakter“, erklärte der CDU-Politiker. Und er wurde noch deutlicher: „Das ist das klassische Vorgehen von Terroristen.“ Die heile 1.-Mai-Welt von Wowereit und Henkel war nun endgültig Vergangenheit. Die große Berliner Antifa-Familie hatte offenbar doch ein Problem mit ihren Schmuddelkindern aus der autonomen Kreuzberger Szene. Doch die Verharmlosungsstrategie ging weiter. Es kämen auch „Neonazis“ als Täter in Betracht, beeilten sich Politiker aller politischen Lager festzustellen. Und wegen ein paar Sprengsätzen könne man nicht alle Teilnehmer der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ kriminalisieren, sagten Grüne und Linkspartei.

Foto: Ermittlungen nach dem Brandanschlag auf eine Polizeistreife in Berlin: Steinhagel und Molotowcocktails

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