© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Vermeintliches Verdienst der Achtundsechziger
Gaucks Irrtum
Klaus Hornung

Joachim Gauck hat – leider – bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident gemeint, einige Legenden aufwärmen zu sollen über das Verdrängen der deutschen Schuld in der Adenauer-Ära und den Achtundsechzigern einmal mehr zu attestieren, sie vor allem hätten das „nachhaltig geändert“. Dieses Urteil steht auf schwachen Beinen.

Für uns als Studenten und Berufsanfänger im Westdeutschland der fünfziger Jahre war von der berüchtigten Verdrängung nichts zu spüren. Vielmehr stand die NS-Geschichte damals allenthalben im Zentrum des Interesses und der Diskussion. Gerhard Ritter in Freiburg schrieb unter anderem sein vierbändiges Werk über den deutschen Militarismus. Mein Lehrer Hans Rothfels hatte bei seiner Rückkehr aus dem Exil 1951 sein Werk „Die deutsche Opposition gegen Hitler“ im Gepäck, das uns nachhaltig beeinflußte. Eugen Kogons „SS-Staat“ war schon seit dem Ende der vierziger Jahre verbreitet. Walther Hofers Dokumentation über den Nationalsozialismus erlebte ab 1957 Auflagen von mehr als einer halben Million Exemplaren. Die deutschen Historiker verbanden in ihrer großen Mehrheit die wissenschaftliche Wahrheit über das „Dritte Reich“ mit klaren sittlichen Positionen.

Neu war bei der Achtundsechziger-Generation dann, die „Vergangenheitsbewältigung“ vor allem als Abrechnung mit den Eltern zu gebrauchen und zu mißbrauchen und die Zeitgeschichte vor allem unter dem Gesichtspunkt der deutschen moralischen Kollektivschuld zu betreiben. Insbesondere wurde sie rasch zu einem politischen Instrument, um den antitotalitären Konsens des Beginns der Bundesrepublik unkritisch durch das antifaschistische Geschichtsbild der Sowjetunion und der DDR zu ersetzen.

Einige Aktivisten der damaligen Kulturrevolution, etwa Götz Aly oder Gerd Koenen, haben ihren Jugendirrtum später als kollektive Inszenierung der „felix culpa“ mit neototalitären Zügen treffend beschrieben. Diese Selbstkritik der nachdenklichen Akteure ist Gauck offenbar entgangen.

Das Bild des „Roten Jahrzehnts“ ist längst entmythologisiert. Unsere politischen Amtsträger neigen freilich dazu, es krampfhaft am Leben zu erhalten, weil sie die Verwaltung des deutschen Schuldbewußtseins als Herrschaftsinstrument (Johannes Gross) zu schätzen gelernt haben.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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