© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Original statt Kopie
Wahl in Nordrhein-Westfalen: Der linke Flügel der CDU ist beim Wähler durchgefallen
Kurt Zach

Muttis Klügster steht ganz schön dumm da. Über Nacht ist aus dem überschätzten Möchtegern-Kronprinzen der größte Wahlverlierer aller Zeiten geworden, jedenfalls was die CDU im wählerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen betrifft. Nicht mal als Juniorpartner einer großen Koalition wird die zeitgeistgewendete NRW-Union des gelehrigen Merkel-Adepten Norbert Röttgen noch gebraucht. Dagegen hat die SPD eine neue Hoffnungsträgerin, die in der „Kleinen Bundestagswahl“ vorgemacht hat, daß rot-grüne Mehrheiten trotz Piraten erreichbar sind, und die FDP darf sich vorerst für gerettet halten – dank zweier Wahlsieger in Folge, die in Opposition zu ihrem Bundesvorsitzenden auf Abruf mit sozialliberalen Signalen und mit kräftigem medialem Rückenwind gegen den Trend sogar noch zulegen konnten. In Düsseldorf ist die Republik wieder ein gutes Stück weiter nach links gerutscht.

Norbert Röttgen hat dazu nicht nur als dilettantischer Wahlkämpfer beigetragen. Als solcher hat er freilich falsch gemacht, was nur ging, und noch einiges mehr: Erst sich nicht zwischen zwei Aufgaben entscheiden können, dazu programmatisches Herumeiern und die offen herausgeplatzte Verachtung der Wähler, die „bedauerlicherweise“ anstelle der CDU-Gremien das letzte Wort haben – das schreit geradezu nach Abstrafung. Röttgens Kalkül, sich so lange hinter Muttis Rock zu verstecken und links darunter hervorzulugen, bis er sich selber auf ihren Sessel setzen kann, ist nicht aufgegangen. Am Ende hatte Angela Merkel selbst die Nase voll von ihrem einstigen Musterknaben, der im Endspurt auch noch versuchte, die Verantwortung für das sich abzeichnende Desaster abzuladen.

In NRW ist aber nicht nur ein CDU-Überflieger abgestürzt, der sich selbst übernommen und in seiner eigenen Schlaumeierei verheddert hat: Auch das System Merkel hat verloren, dessen gelehrigster Repräsentant eben jener schwarz-grüne „Pizza Connection“-Stratege Norbert Röttgen war. Röttgen konnte gegen Rot-Grün nicht kämpfen, weil er selbst ein geistiger Rot-Grüner ist.

Wer sich selbst mit industriefeindlichem Klima-Dirigismus und Atomausstieg profilieren will und aus taktischen Gründen schon das gegliederte Schulsystem der rot-grünen Einheitsschule geopfert hat, der kann die Urheber dieser Ideologien nicht glaubwürdig herausfordern. Für die programmatisch entkernte und weichgespülte Merkel-Union könnte der Wahlabend in Düsseldorf, trotz aller Exklusiv-Schuldzuweisungen an den Spitzenkandidaten, daher zum Menetekel werden. Als vierte oder fünfte linke oder Linke-Mitte-Partei ist die CDU entbehrlich. Wer der ideologischen Linken in allen zentralen gesellschaftlichen Fragen – Familie, Bildungssystem, Einwanderung, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung – die Diskurshoheit überläßt, muß ihr am Ende auch die Regierungsmacht überlassen.

Daran wird auch die soundsovielte Neuauflage der Unions-Profildebatte nichts ändern. Personelle und programmatische Alternativen hat die Union nicht zu bieten. Röttgens Nachfolger im Landesvorsitz wird entweder der inhaltlich mit ihm identische Armin Laschet oder der verkappte Sozialdemokrat Karl-Josef Laumann. Der Wahlverlierer selbst bleibt als kastrierter und gedemütigter Minister ohne Hausmacht im Bundeskabinett und stärkt somit durch seine Niederlage noch die Alleinherrscherposition seiner Chefin.

Deren konstant gute Umfragewerte sind derzeit die größte und wohl auch letzte Hoffnung der Union auf eine Machtoption über das Jahr 2013 hinaus. Schwarz-Gelb ist ein Auslaufmodell, auch wenn die FDP im Norden und Westen ein kleines „Wunder an der Marne“ geschafft hat – in NRW nicht zuletzt mit Wählern vom Friedrich-Merz-Flügel der CDU, die übersehen haben, daß Spitzenkandidat Christian Lindner, ebenso wie der zweite Hoffnungsträger, eher für linke Koalitionsmodelle steht. Ob der glücklose Bundesvorsitzende Philipp Rösler den Aufwind nutzt, um sich und seine Partei in Abgrenzung zur Union zu stabilisieren, oder ob er rechtzeitig vor der Bundestagswahl von einem der sozialliberalen Wahlsieger abgelöst wird, dürfte ein Hauptthema der kommenden Herbstsaison im Koalitionstheater werden.

Frau Merkel arbeitet auf eine Neuauflage der großen Koalition hin, der Exponent der schwarz-grünen Richtung ist gerade in Düsseldorf abgemeiert worden. Beide Optionen könnten sich indes als Milchmädchenrechnungen erweisen. Merkels präsidial über den Wassern schwebender, heikle Fragen souverän wegkuschelnder Stil ist nicht exklusiv und unkopierbar; Hannelore Kraft hat ihren Wahlsieg nicht zuletzt mit dieser Methode eingefahren. Bei kommenden Kanzlerkandidaturen wird sie, ungeachtet aller geschmeichelten Dementis, als einzige echte Wahlsiegerin mit Sicherheit mitspielen.

Und auch die unausgesprochene Hoffnung im Kanzleramt, die Piraten könnten das linke Lager zum Vorteil der Union spalten, hat durch die NRW-Wahl einen Dämpfer erhalten. Rot-grüne Mehrheiten sind auch ohne sie möglich; mittelfristig werden sie sich entweder als Mehrheitsbeschaffer im linken Lager etablieren oder am politischen Alltag scheitern und wieder verschwinden wie die „Linke“ aus den westdeutschen Landtagen und mit ihren politikfähigen Köpfen Grüne, SPD oder FDP verstärken. Nur die Union bleibt weiter allein – als fünftes Rad am Wagen.

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