© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Wahl in Nordrhein-Westfalen
Der Protest bleibt verborgen
Dieter Stein

Mit der fortgesetzten Euro-Rettung und der Zustimmung zum ESM-Pakt droht der faktisch endgültige Abschied vom Nationalstaat und der Übergang zum europäischen Bundesstaat. Deutschland verliert die Hoheit über seine Finanzen – und all dies spielt im Land des Wirtschaftswunders bei Wahlen keine Rolle? Mancher interessierte Beobachter reibt sich die Augen, wenn er auf die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen blickt: Protestparteien, die mit der Rückkehr zur D-Mark oder einem Nein zum ESM-Pakt warben, spielten so gut wie keine Rolle.

Die rechtspopulistische Formation „Pro NRW“ (Plakatmotiv: „NRW wählt die D-Mark“) erzielte mit 1,5 Prozent nur wenig mehr als vor zwei Jahren – sie hatte mit einer Serie provozierender Anti-Islam-Demonstrationen ein starkes Medienecho hervorgerufen. Die Bilder von durch salafistische Gewalttäter verletzten Polizisten und das Zeigen der Mohammed-Karikaturen dürfte bei potentiellen bürgerlichen Wählern zwiespältige Reaktionen ausgelöst haben.

Mit nur 0,2 Prozent gingen die Freien Wähler unter – obwohl sie sich bei ihrem Anti-ESM-Kurs auf die Unterstützung durch den ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel stützen können. Ihr Wahlkampf war in dieser Hinsicht medial ebensowenig wahrnehmbar wie derjenige einer libertären „Partei der Vernunft“, die ebenfalls mit 0,1 Prozent im Tal der Bedeutungslosen verschwand.

Warum schlägt massenhafte Partei- und Politikverdrossenheit nicht in massenhafte alternative Wahlentscheidungen um? Zweifellos lassen sich Wähler von der Agenda beeinflussen, die Massenmedien wochenlang vor der Wahl setzen. Wenn es da nicht um harte Themen, sondern um Emotionen geht, statt Inhalten die Debatte über Personen dominiert (Kraft oder Röttgen? Lindner oder Löhrmann?), dann wird die Wahl und Mobilisierung stärker von diesen Faktoren beeinflußt. Alternative Themen und Parteien müssen erst einmal eine nennenswerte Wahrnehmungsschwelle überspringen, zumal die meisten Medien konservative oder rechte Kleinparteien aus Prinzip totschweigen. Wenn Kleinparteien in den Leitmedien nicht „stattfinden“, dann existieren sie für den Normalbürger schlicht nicht, weil er sie erst in der Sekunde wahrnimmt, wenn er den Wahlzettel entfaltet. Und dann sagen ihm diese kuriosen Organisationen meist nichts.

Vorhandene Stimmungen und Meinungen sind das eine. Es gibt eine deutliche Mehrheit der Bürger, die eine Transfer- und Schuldenunion ablehnt. Wird dies jedoch nicht mit erheblichem medialen Gewicht, personeller Kompetenz und kapitaler Kampagnenfähigkeit in den Markt des politischen Meinungskampfes transportiert, verhalten sich die meisten Bürger passiv. Denn sie haben einen natürlichen Instinkt für reale Kräfteverhältnisse.

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