© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Pankraz,
A. Strindberg und Fräulein Julies Tod

Wenn August Strindberg (1849–1912), dessen hundertster Todestag am 14. Mai ansteht, etwas nicht gewesen ist, so ein Wohlfühlautor. Es gibt keine Stelle in seinem gewaltigen Werk, an der man sich wirklich ausruhen möchte, zu der man ohne Gewissensbisse ja sagen könnte. Dieser Autor war kein bloßer Kritiker, sondern ein Häuseranzünder. Mit ihm ließ sich nur im Stil von Boxkämpfen diskutieren.

Selbst Franz Kafka hat das gespürt, der wohl einzige „reine Strindberg-Fan“. Nachdem er Strindbergs Roman „Entzweit Einsam“ gelesen hatte, trug er in sein Tagebuch ein: „Ich lese ihn nicht, um ihn zu lesen, sondern um an seiner Brust zu liegen. Er hält mich wie ein Kind auf seinem linken Arm. Ich sitze dort wie ein Mensch auf einer Statue. Bin zehnmal in Gefahr, abzugleiten (…) Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten.“

Die Formulierung gewinnt ihre volle Bedeutung, sobald man sich daran erinnert, daß viele, vielleicht die meisten, Wutanfälle und Faustkämpfe Strindbergs im Ehebett und darum herum stattfanden. Gegner und Objekte waren jeweils die Ehefrauen des Wütenden: die finnlandschwedische Schauspielerin Siri von Essen, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hatte, die österreichische Journalistin Frida Uhl, von der er die Tochter Karin bekam, die norwegische Künstlerin Harriet Bosse und ihre gemeinsame Tochter Anne-Marie, welche erst 2007 im Alter von 105 Jahren verstarb und mit der auch Pankraz noch hat sprechen können.

August Strindberg ist als der größte Antifeminist und „Frauenhasser“ der Neuzeit in die Literaturgeschichte eingegangen – und kriegt das jetzt mit Sicherheit in vielen Gedenkartikeln zu spüren. Man hat ihn ja schon früher vielfach irgendwo zwischen Monster und Quatschkopf eingeordnet, den man nicht ernst zu nehmen braucht, und läßt es damit bewenden. Bevor Pankraz auf diese Konstellation eingeht, möchte er aber doch zunächst einmal konstatieren, daß Strindberg einer der ganz großen Dichter und Essayisten Europas gewesen ist.

Es gibt kein Genre im geistigen Spektrum, das er nicht befruchtet oder zumindest interessant angeleuchtet hat. Vor ihm hatte es in gehobener schwedischer Sprache ja „nur“ die an Luther orientierte Bibelübersetzung von Olaus Petri gegeben, dazu im 18. Jahrhundert die charmantenVagantenverse Bellmanns und die pseudo-philosophischen Wälzer Swedenborgs, schließlich im neunzehnten ein bißchen Romantik à la E.T.A. Hoffmann. Mit dem Auftritt Strindbergs änderte sich das, und zwar gründlich.

Romane wie „Das rote Zimmer“ oder „Sohn einer Magd“, Novellen wie „Richtfest“ oder „Der Sündenbock“, Dramen wie „Fräulein Julie“, „Damaskus“ oder „Ein Traumspiel“ – sie machten buchstäblich Weltgeschichte, prägten weltweit den Stil moderner Dramatik und Epik, einerlei ob es sich dabei um Realismus, Symbolismus oder Expressionismus handelte. Strindberg lieferte präziseste Beschreibung und Vergegenwärtigung der bestehenden Verhältnisse – und bot gleichzeitig stürmischste, total subjektive Dauerschelte an ihnen, machte sie unendlich lächerlich.

Der Mann, Sohn eines kleinen Stockholmer Dampferkommissärs, erzürnte und polarisierte wie kein zweiter. Er war nicht sympathisch, spielte sich oft gockelhaft auf, war launenhaft, zeitweise manisch-depressiv. Trotzdem stieg er in seiner Heimat schnell zur nationalen Errungenschaft ersten Ranges auf, zum endlich erschienenen Pendant zu den bisher dominierenden nördlichen Nachbarn, zu Kierkegaard und Andersen, Henrik Ibsen und Knut Hamsun. „Nusvenskan“, das heißt „Beginn des heutigen Schweden“, nennen schwedische Linguisten die Zeit um 1880, also die Zeit von Strindbergs Mächtigwerden.

Sein „Frauenhaß“, sein grimmiger Antifeminismus passen nicht schlecht in das Schema von Nusvenskan und energischer Identitätssuche. Ibsen, der große Bühnenkonkurrent drüben in Norwegen, hatte in seinem Stück „Nora“ eine, nach Strindbergs Meinung, allzu primitive Erklärung für innerhäusliche Schwierigkeiten abgeliefert. „Laßt die Frauen ans Geld ran, und alles renkt sich ein“, war dessen Parole. Dagegen eröffnete Strindberg mit seinem „Fraulein Julie“ einen erbitterten Krieg.

Julie, im Gegensatz zu Nora, hat Geld, und sie, nicht ihr Geliebter Jean, liegt oben. Aber gerade deshalb nimmt das Verhängnis seinen Lauf und endet mit Julies Selbstmord. Denn die Frau, glaubt Strindberg zu wissen, ist im Gegensatz zum Manne viel mehr „Natur“ als „Kultur“; Natur jedoch, davon läßt er, gelernter Chemiker und Evolutionsbiologe, sich nicht abbringen, ist der Schoß und Urgrund alles Bösen. Sie ist gnadenloses Fressen und Gefressenwerden, mit einem Wort: Teufel.

Man muß die Natur zähmen, und man muß das Weib zähmen, genauer: es muß sich selbst zähmen, damit Mann und Frau gut und fruchtbringend zusammenleben können. Und die Zähmung soll vor allem darin bestehen (das hat Strindberg von dem von ihm hoch respektierten Nietzsche gelernt), daß man auf die Differenzen achtet, daß jede Form von Gleichmacherei vermieden wird und jede Seite unvoreingenommen und zielgenau an der je eigenen Verbesserung arbeitet.

In diesem Sinne hat sich der große Autor oft und gewohnt unverblümt geäußert. Berühmt-berüchtigt wurde sein Einspruch gegen die Berufung der russischen Mathematikerin Sofja Kowalewskaja, die damals als Wunderkind gefeiert wurde, an die Universität Stockholm: „Ein weiblicher Mathematikprofessor ist eine gefährliche und unerfreuliche Erscheinung, man kann ruhig sagen, eine Ungeheuerlichkeit. Ihre Einladung in ein Land, in dem es so viele ihr weit überlegene männliche Mathematiker gibt, kann man nur mit der Galanterie der Schweden dem weiblichen Geschlecht gegenüber erklären.“

Tochter Anne-Marie erzählte gern, daß ihr Vater sie stets sehr liebevoll behandelt habe. Nach der Scheidung von der Mutter habe es aber leider viel Streit um das Sorgerecht gegeben.

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