© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

„Feuer mit Benzin löschen“
Euro-Krise: Die „Zivile Koalition“ mobilisiert gegen den ESM-Vertrag / Unterstützung durch Freie Wähler
Hinrich Rohbohm

Es geht jetzt um alles“, macht Beatrix von Storch jedem im Saal unmißverständlich klar. Die Vorsitzende des Vereins „Zivile Koalition“ hat zum Kongreß über den Vertrag zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nach München in den Bayrischen Hof geladen. Mehr als 200 Zuhörer sind gekommen. Jüngere wie Ältere sind im Atrium-Saal des Hotels zu sehen, Frauen wie Männer. Leute in dunklen Anzügen und Krawatte ebenso wie Gäste in Turnschuhen, T-Shirt und Jeans. Sie alle eint die Sorge um ihr Geld, um die künftige Stabilität des Euro.

Schnell wird deutlich: Das Publikum lehnt den am 25. Mai im Bundestag zur Abstimmung stehenden dauerhaften Euro-Rettungsfonds einhellig ab. „Der Vertrag ist nicht das Ende, sondern der Anfang des Desasters“, warnt von Storch, die mit ihrer „Zivilen Koalition“ zum Verschicken von Protest-E-Mails aufgerufen hatte. 750.000 Schreiben seien so bundesweit an Politiker verschickt worden. Allein die Abgeordneten des Bayerischen Landtags hätten 75.000mal elektronische Post mit Stellungnahmen gegen den ESM-Vertrag bekommen.

Einige der Landtagsabgeordneten hätten daraufhin gar mit einer Strafanzeige gedroht, weil sie sich durch die Zusendungen belästigt fühlten. „Günther Beckstein und Markus Söder von der CSU haben zusammen 3.928 E-Mails erhalten. Einer der beiden war besonders verärgert, weil er Mails auf sein Mobiltelefon weitergeleitet hatte“, gibt von Storch eine Begebenheit der Aktion wieder und hat die Lacher auf ihrer Seite. Dann wird es still im Saal. Und ernst. Mit dem Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim, dem Bundesvorsitzenden der Freien Wähler (FW) Hubert Aiwanger und dem bayerischen FDP-Landtagsabgeordneten Thomas Dechant hat die „Zivile Koalition“ drei ausgewiesene ESM-Kritiker zur Podiumsdiskussion geladen. Auch Thomas Silberhorn war ursprünglich als Referent geladen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete, der gegen die Aufstockung des Euro-Rettungsfonds EFSF stimmte und dem ESM ebenfalls kritisch gegenübersteht, hatte seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. „Aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können“, betont der Wirtschaftsredakteur des Bayerischen Rundfunks (BR) Jürgen Seitz, der die Podiumsdiskussion moderiert. Unmut bei den Zuhörern, vereinzelte Buhrufe hallen durch den Atrium-Saal.

Beifall dagegen für von Arnim. Der Parteienkritiker fordert mehr direkte Demokratie, spricht sich für ein Finanzreferendum nach Schweizer Vorbild aus. Der einzelne Bürger würde verantwortungsvoller handeln als die Polit-Funktionäre. „Er denkt auch an seine Kinder und Enkelkinder und somit langfristiger“, meint von Arnim. Politiker hingegen würden zumeist nur an die nächsten Wahlen denken. Der ehemalige Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer sieht derzeit nur zwei Gegenkräfte zum ESM-Vertrag: das Bundesverfassungsgericht und das Volk.

„Aber ich fürchte, daß das Bundesverfassungsgericht am Ende doch fünfe gerade sein läßt.“ Und dann bliebe nur noch das grundgesetzlich verankerte Widerstandsrecht. Starker Beifall brandet auf, der sich jedoch schnell in Nachdenklichkeit verwandelt: „Wie soll Widerstand gehen, wenn 80 Prozent der Bürger nichts mit dem ESM-Vertrag anzufangen weiß?“, will jemand aus dem Publikum wissen. Und: Wie solle der Widerstand dann aussehen? Streiks? Steuern nicht zahlen? Von Arnim räumt ein: „Das ganze ist rein hypothetisch.“ Ein Mann springt aus dem Publikum auf. „In Griechenland gehen sie auf die Straße – und wir gehen arbeiten“, ruft er in den Saal und erhält Applaus.

Die Gewerkschaften werden als erfahrene Streikorganisatoren genannt. Aiwanger und Dechant winken ab. „Deren Funktionäre sitzen doch in den Aufsichtsräten der großen Banken, die sind viel zu sehr mit deren Bossen und Managern verbandelt“, meint Dechant. Und Aiwanger fügt hinzu, daß die Gewerkschaften schon allein wegen ihrer „internationalistisch ausgerichteten Ideologie“ nicht gegen den ESM-Vertrag zu Felde ziehen werden. „Wir verschenken Ware und arbeiten und arbeiten“, faßt Aiwanger die deutsche Situation in der Euro-Krise zusammen.

Der FW-Fraktionschef im bayerischen Landtag bezeichnet den ESM-Vertrag als „tote Kröte“, die Politiker seien zu feige, damit Schluß zu machen. Die Rettungspakete seien vielmehr versuche, „Feuer mit Benzin zu löschen“. Aiwanger kündigt gegenüber dem Publikum für Anfang Juni eine Demonstration auf dem Münchner Marienplatz an. „Wir arbeiten da schon länger dran“, sagt Aiwanger gegenüber der JF. Die Intelligenz habe das Ausmaß des ESM-Vertrags begriffen. Jedoch sei das Thema in der breiten Masse noch nicht stark genug ins Bewußtsein gerückt.

Wie von Arnim ist auch er skeptisch, daß die Justiz der Politik Einhalt gebieten werde. „Ich glaube da eher an die Straße als an die Justiz.“ Doch erst wenn der Wohlstand spürbar nachlasse, werde der Bürger aufwachen. Was man bei der Zivilen Koalition von der Occupy-Bewegung halte, möchte ein Zuhörer wissen. Beatrix von Storch kann auch da wenig Hoffnung machen: „Die sind gegen die Marktwirtschaft, haben aber noch nicht begriffen, daß dies keine Marktwirtschaft mehr ist.“

„Wir haben 2010 den falschen Weg eingeschlagen“, gibt Dechant ohne Umschweife zu. Mit seiner ESM-skeptischen Haltung vertrete er bei den Liberalen eine Minderheitenposition. Jedoch gebe es inzwischen in allen Parteien Leute, die sich gegen den ESM wenden, berichtet der FDP-Politiker, der betont, daß man sich mittlerweile überlegen müsse, „ob wir nicht aus Europa aussteigen“.

Foto: ESM-Kritiker von Arnim, von Storch, Aiwanger und Dechant (v.l.n.r.) mit BR-Redakteur Seitz (M.): „Wie soll Widerstand gehen?“

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