© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Hoffnung auf die große Überraschung
Nordrhein-Westfalen: Zahlreiche kleinere Gruppierungen bieten sich bei der Landtagswahl den Wählern als Alternative zu den etablierten Parteien an
Michael Martin

Spätestens seit der Wahl in Schleswig-Holstein am vergangenen Sonntag schauen auch in Düsseldorf alle wie gebannt auf das Abschneiden von Piratenpartei und FDP. Für Ministerpräsidentin Hanelore Kraft (SPD) wird das Ergebnis dieser beiden Parteien darüber mitentscheiden, ob sie zusammen mit den Grünen regieren kann, sich einen weiteren Partner ins Boot holen muß, oder gar in eine Große Koalition gezwungen wird.

Abseits der großen Parteien und der in die Schlagzeilen geratenen Bürgerbewegung Pro NRW (siehe oben) treten am kommenden Sonntag zahlreiche weitere kleinere Parteien an. Hoffnung, die Fünfprozenthürde zu überspringen, darf sich eigentlich niemand der „Kleinen“ machen, auch wenn bei manchen Optimismus herrscht. So will etwa die „Partei der Vernunft“ das Erbe der FDP antreten. Die Gruppierung um den Spitzenkandidaten und Buchautor Dieter Audehm hält eine Überraschung für möglich. Die „Vernunft“ fordert den Ausstieg aus dem Euro und gibt sich betont libertär. An Rhein und Ruhr hat die vor zwei Jahren gegründete Partei rund 100 Mitglieder.

Über deutlich mehr Erfahrung verfügen die Familienpartei und die ÖDP. Die Familienpartei, die zuletzt bei der Landtagswahl im Saarland mit 1,5 Prozent noch vor der FDP lag, ist in Nordrhein-Westfalen nur schwach
organisiert. Die anvisierten ein Prozent wären für die Formation, die mit Forderungen nach einem Familienwahlrecht in den Wahlkampf gezogen ist, bereits ein Erfolg. Ähnlich sieht es bei der ÖDP aus. Die bürgerlichen Ökologen haben in den vergangenen Jahren viel an Boden verloren und sind nur noch in Bayern und Baden-Württemberg kommunal wirklich präsent. 2010 erhielt die ÖDP 0,1 Prozent, die Aussichten dürften diesmal kaum besser sein. Spitzenkandidat ist der frühere Münsteraner Ratsherr Gerd Kersting, ein Polizeibeamter, der unter anderem für ein Tempolimit auf Autobahnen eintritt und einen „echten Nichtraucherschutz“ fordert.

Eine Alternative für unzufriedene bürgerliche Wähler könnten die Freien Wähler sein, die während des Wahlkampfs vom ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel unterstützt wurden und damit deutlich machten, daß sie auch in Nordrhein-Westfalen einen eurokritischen Kurs fahren. Der Vorsitzende des Landesverbands, Rüdiger Krentz, stellte aber klar, daß die „Freien“ keine Anti-Euro- oder Anti-Europa-Partei sind. Die neue „Nordeurozone“ könnte im Sinne der Maastrichtverträge, deren Einhaltung dann Grundlage sein müßte, für Stabilität in Europa sorgen. Die Maastrichtverträge seien in den vergangenen Jahren über hundertmal gebrochen worden, ohne daß die Vertragsbrüche zu in den Verträgen vorgesehenen Sanktionierungen jemals geführt hätten. Darin sieht Krentz die Hauptursache für die seit Jahren andauernde Finanzkrise.

Für Verwirrung dürfte die Tatsache sorgen, daß auch eine Gruppierung unter dem Namen Freie Bürger Initiative/Freie Wähler NRW antritt. Sie verstehen sich als Zusammenschluß von Bürgern, die sich unabhängig von Weltanschauung und Herkunft den demokratischen Grundprinzipien von Frieden und Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und gegenseitiger Verantwortung in der Gesellschaft verpflichtet fühlen. Bundesvorsitzender der 2010 gegründeten Gruppierung ist der ehemalige Funktionär der Schill-Partei, Hartmut Hüttemann. Mit dem früheren Dortmunder Ratsherrn Detlev Münch findet sich ein weiterer prominenter Ex-Schill-Funktionär in der Vorstandsriege der Gruppierung, die sich als Alternative zur FDP sieht.

Wie schon vor zwei Jahren tritt auch die christliche Partei für Arbeit, Umwelt und Familie – Christen für Deutschland (Auf-Partei) zur Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland an. Die Gruppierung versteht sich als lebensbejahende Alternative zur CDU. Der Journalist Franz Alt, die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Christa Meves sowie die ehemalige Tagesschau-Moderatorin Eva Herman zählen zu den Unterstützern der Partei, die an Rhein und Ruhr über rund 50 Mitglieder verfügt.

Die Interessen von Einwanderern vertritt wie schon vor zwei Jahren die Migrantenpartei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG). Ziel der Partei ist es, „allen Menschen im Land Chancengerechtigkeit, faire Behandlung und Anerkennung in allen Lebensbereichen zu ermöglichen“. 2010 konnten sich 0,2 Prozent der Wähler für BIG begeistern. Am äußersten rechten Rand des Parteispektrums kandidiert dagegen die in Nordrhein-Westfalen traditionell besonders radikale NPD. Sie rechnet sich Chancen aus, ein Prozent der Stimmen zu erreichen und so zumindest in den Genuß der Wahlkampfkostenerstattung zu kommen.

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