© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Hauptsache immer dabei
Zurück in den Bereich des Akzeptierten: Arnulf Baring zum Achtzigsten
Karlheinz Weissmann

Die Bild-Zeitung nannte ihn einmal – in großen Lettern und auf dem Titel – „Deutschlands klügsten Kopf“. Arnulf Baring wird es mit Vergnügen gelesen und sich in seinem Selbstgefühl bestätigt gesehen haben. Der Emeritus der Politikwissenschaft, am 8. Mai vor achtzig Jahren in Dresden geboren, gehörte ohne Zweifel zu den einflußreichsten Denkern der „Bonner Republik“ in ihrer Blüte und der „Berliner Republik“ in ihren Anfängen.

Während der NS-Zeit groß geworden, zu jung für die „Flakhelfergeneration“, wirkte auf Baring prägend die Nachkriegszeit im geteilten Berlin. Er studierte zwar nicht nur in seiner zweiten Heimatstadt, sondern auch in Hamburg und Freiburg, kurzzeitig in den USA sowie Frankreich, Jura und Politische Wissenschaft, kehrte aber schon 1956 an die Freie Universität (FU) zurück und übernahm eine Assistenzstelle, die ihm die Möglichkeit eröffnete, zwei Jahre später seine Dissertation abzuschließen.

Daß Baring den Dr. jur. erwarb, kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine eigentliche Leidenschaft der Politikwissenschaft – und daneben der politischen Publizistik – gehörte. Trotz seiner Tätigkeit als Journalist hielt er immer Verbindung zur damals in raschem Aufbau befindlichen Disziplin, wurde 1968 habilitiert und 1969 auf einen Lehrstuhl des Otto-Suhr-Instituts berufen. Barings akademische Laufbahn, auch von zahlreichen Gastprofessuren geprägt, erfuhr ansonsten nur noch eine Neuorientierung, als er 1976 an das Friedrich-Meinecke-Institut wechselte, wo er bis zu seiner Emeritierung 1998 Zeitgeschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen lehrte.

Bei seinem raschen Aufstieg half ohne Zweifel die Mitgliedschaft in der einflußreichen Berliner SPD. Die hatte in den sechziger Jahren immer noch etwas vom „Frontstadt“-Geist an sich, der auch in Barings Erstling „Der 17. Juni 1953“ (1957) Spuren hinterließ. Aber man darf diesen Aspekt nicht überbetonen, seine Darstellung des Arbeiteraufstands in der DDR war schon bemüht, die scharfen Töne des Kalten Kriegs zu vermeiden und setzte auf „Evolution“ statt „Revolution“.

Es überrascht insofern nicht, daß Baring zu den Anhängern der Entspannungspolitik und der sozialliberalen Koalition gehörte, deren Geschichte er als erster geschrieben hat. Das 1982 erschienene Buch „Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel“ war dabei weniger Pendant zu Barings „Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie“ (1969), eher eine Art von offiziöser Darstellung. Nicht ganz Hofhistoriographie, aber eben doch als Auftragsarbeit des Bundespräsidenten Walter Scheel begonnen und mit Akzentsetzungen versehen, die erkennen ließen, daß Baring die Entwicklung seit 1969 als historische Notwendigkeit begriff. Dem Buch war allerdings auch die wachsende Distanz zu seiner eigenen Partei anzumerken. 1983 folgte der Ausschluß aus der SPD, Konsequenz von Barings Stellungnahme für Genschers Koalitionswechsel, der die „Wende“ eingeleitet hatte.

Seit dieser Zeit galt Baring gemeinhin als Fürsprecher „bürgerlicher“ Positionen, eher liberalen Zuschnitts. In den Ruf eines „Konservativen“ kam er erst aufgrund seiner Stellungnahmen zum Kollaps des Ostblocks und der Wiedervereinigung. Tatsächlich löste der unter Barings Namen veröffentlichte Band „Deutschland, was nun?“ (1991), der den Text eines Rundgesprächs zwischen ihm, Wolf Jobst Siedler und dem Stichwortgeber Dirk Rumberg enthielt, Thesen, die man kaum anders als „rechts“ nennen konnte: von der Kritik der „Dekadenzerscheinungen“ und der Führungsschwäche in der Politischen Klasse, über die Notwendigkeit eines „neuen Patriotismus“ und der Rückkehr zum Nationalstaat bis zur Forderung, endlich mit den Illusionen von ’68 aufzuräumen und deutsche Politik an deutschen Interessen auszurichten. Es fand sich sogar die überraschende Spekulation, daß bei fortgesetzter polnischer Misere an eine wie auch immer geartete Rückkehr eines Teils der Ostgebiete zu denken sei.

Für seine Gegner hat das genügt, um Baring in die „rechte Ecke“ zu stellen. Um so erstaunlicher, daß er da niemals bleiben mußte. Trotz seiner späteren Vorstöße – der berühmt gewordenen Forderung in einem FAZ-Artikel „Bürger, auf die Barrikaden“ (November 2002), der Verteidigung Martin Hohmanns, der Solidaritätsbekundung für Thilo Sarrazin – und eines offenen Angriffs von seiten des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der Baring Antisemitismus vorwarf, kam es nie zu einer wirksamen Isolation. Baring ist bis heute ein gerngesehener Autor, Beiträger, Redner und Gast in diversen Talkshow-Runden. Das kann nicht nur an seinen Kenntnissen und seiner Verve liegen oder seinem rhetorischen Geschick. Eher sollte man auf seine Weltläufigkeit hinweisen und etwas, das man nicht lernen kann, sondern mitbekommt.

Baring ist ein Mann, der, wie man früher sagte, aus der „guten Gesellschaft“ stammt, einer Familie hoher Beamter und Bankiers. Da gibt es ein mentales Erbe, das auch nach 1945 nicht verloren war und es erlaubte, den alten Status vielleicht nicht vollständig, aber in Teilen wiederzugewinnen. Dazu gehörte ein erhebliches Maß an Intelligenz und Geschicklichkeit und eine Souveränität, die daraus resultiert, daß man instinktiv weiß, woher man kommt und wie weit man gehen darf. Die erlaubt Baring die virtuose Art des Wider-den-Stachel-Löckens, mit der er an den Rand der politischen Mitte strebt, kurz darüber hinaus, um sich dann ebenso rasch wieder in den Bereich des Gesicherten, des Allgemein-Akzeptierten zurückzuziehen, der garantiert, daß man nach wie vor dazugehört.

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