© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

„Jeder vermißt ihn“
Pim Fortuyn: Auch zehn Jahre nach seiner Ermordung ist der unkonventionelle Politiker in den Niederlanden allgegenwärtig
Mina Buts

Pim Fortuyn ist mehr denn je präsent in den Niederlanden. Sein großer Schatten beherrscht die politischen Diskussionen über schwierige Themen. Und jeder vermißt ihn. Selbst seine Feinde vermissen ihn. Komisch, oder?“ So kommentiert das niederländische Nachrichtenmagazin Elsevier den anstehenden zehnten Todestag von Pim Fortuyn, der am 6. Mai 2002 einem Attentat zum Opfer fiel.

In der Tat hat in den Niederlanden kaum je ein Mann so viele Diskussionen und auch Veränderungen angestoßen wie Pim Fortuyn.

1948 geboren, wuchs Fortuyn in einem streng katholischen Elternhaus auf. Seine Schulzeit bei den Nonnen beschrieb er als „grauenhaft“, was ihn jedoch nicht darin hinderte, eine priesterliche Laufbahn in Erwägung zu ziehen, die für ihn letztlich am Zölibat scheiterte. Er studierte Gesellschaftswissenschaften, Ökonomie und Staatsrecht, wurde Dozent für marxistische Soziologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und später ebendort Professor.

Nachdem er sich erst den Sozialdemokraten der PvdA zugewandt hatte, trat er 2001 der Partei „Leefbaar Nederland“ bei, die für mehr Bürgerbeteiligung warb. Für ihn nur ein kurzes Intermezzo, denn nach einem Interview, welches er der Tageszeitung De Volkskrant gegeben hatte, erfolgte kurz darauf der Parteiausschluß.

Fortuyn war nicht nur für radikale Meinungsfreiheit eingetreten, sondern sogar so weit gegangen, das Diskriminierungsverbot in der niederländischen Verfassung als Einschränkung der freien Meinungsäußerung zu bezeichnen. Entgegen der offiziellen Parteilinie hatte er aber auch den Islam als eine „rückständige Kultur“ bezeichnet.

Schon am Tag nach dem Rauswurf gründete er seine eigene Wählergruppe, die „Liste Pim Fortuyn“ (LPF).

Der charismatische Fortuyn galt vielen Niederländern als echte Wahlalternative, da er den Finger in die Wunden der Zeit legte. Ohne Scheu benannte er die Verfehlungen in der Integrations- und Ausländerpolitik, in der Sicherheitspolitik, beim Versorgungsstaat, den Staatsausgaben, der Schulpolitik oder auch bei den UN-Einsätzen. Ihm bloßen Populismus vorzuwerfen, würde zu kurz greifen.

Er hatte bis 2001 schon Hunderte Kolumnen mit spitzer Feder geschrieben, die wöchentlich in Elsevier erschienen, etliche Bücher veröffentlicht und vor allem unzählige klein- und mittelständische Betrieben besucht. Ihm nahm man ab, daß seine Kritik an den politischen Zuständen aus der Mitte der Gesellschaft kam.

Seine unkonventionelle und erfrischende Art, Diskussionen zu bestreiten und sich dabei wirklich keinerlei Denktabu aufzuerlegen, kam an: „Ich kann eine Meinung noch so absurd finden, aber ich werde das Recht verteidigen, sie zu äußern“, so Fortuyn.

Neun Tage vor der Parlamentswahl, bei der er zum ersten Mal mit seiner LPF antreten wollte, wurde Fortuyn von dem linksradikalen Umweltaktivisten Volkert van de Graaf auf einem Geschäftsparkplatz in Hilversum erschossen. Die LPF mit Fortuyn als postumen Spitzenkandidaten wurde dennoch mit über 1,6 Millionen Wählerstimmen zur zweitstärksten politischen Kraft im Parlament.

Auch wenn die LPF 2008 aufgelöst wurde, wirkt Fortuyns Gedankengut bis heute nach. Fortuyn stand für eine neue Art der Politik, die von dem niederländischen Historiker Henri Beunders, der an der Universität Rotterdam lehrt, als „reaktionärer Modernismus“ beschrieben wird: „Mit einem Laptop und einem Latte auf dem Dorfplatz mit der ganzen Welt vernetzt sein, aber dem Dorfsheriff die Sicherheit garantieren und einen Schlagbaum an der Grenze haben.“

Viele Forderungen Fortuyns sind tatsächlich bis heute aktuell und zu einem gewichtigen Teil bereits verwirklicht worden. So haben die Niederlande den Zustrom von Asylbewerbern und den Familiennachzug bei Einwanderern stark eingeschränkt. Auch ihre rigide Integrationspolitik könnte vorbildhaft für ganz Westeuropa werden. Der Sozialstaat wurde gestrafft, mehr Menschen in Lohn und Arbeit gebracht, der Versorgungsstaat strenger kontrolliert. Die Polizeistrukturen wurden effizienter gestaltet, auch das Strafmaß erhöht.

Zum zehnten Jahrestag ist ein wahrer Hype um Fortuyn entstanden. Gleich mehrere Neuerscheinungen widmen sich dem Phänomen „Fortuyn-Revolte“ oder dem „Fortuynimus“ und dem Nachwirken Fortuyns, die Stadt Rotterdam veranstaltet ein eintägiges Symposium, auf dem nicht nur der amtierende Bürgermeister Ahmed Aboutaleb, sondern auch der Justizminister des Landes, Ivo Opstelten, sprechen werden. Die Zeitungen des Landes widmen sich dem zehnten Todestag schon Wochen im voraus, Elsevier bringt sogar eine Sonderausgabe mit den schönsten Bildern von Fortuyn und einer DVD heraus.

Die Islamkritik, die Fortuyn zu einem erheblichen Teil in Westeuropa angestoßen hat, lebt heute in der Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders fort. Als Mehrheitsbeschaffer der Regierungskoalition hat er diese eben wegen unterschiedlicher Vorstellungen bei den Einsparungen des Staates platzen lassen. Und auch wenn Wilders nicht direkt als Nachfolger von Fortuyn gesehen wird, in einem muß er dann doch die Folgen seines tragischen Todes mittragen: Um keine weiteren Märtyrer zu schaffen, lebt Wilders heute unter strengster Polizeibewachung an ständig wechselnden Wohnorten und von seiner Familie getrennt.

Foto: Fortuyn in seiner beliebten Pose auf einer Veranstaltung seiner Partei LPF (November 2001): Das Recht auf freie Meinung verteidigen

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