© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Kampf gegen die „Grüne Revolution 2.0“
Rettung vor dem Weltuntergang – Linke Analysen der Agrarindustrie und ihre konservativen Therapien
Michael Fuchs

Bis Ende dieses Jahres will die EU ihren künftigen agrarpolitischen Kurs auf „nachhaltiges Wirtschaften“ bei gleichzeitiger „Ernährungssicherung“ festlegen. Wie die im Herbst 2011 präsentierten Legislativvorschläge der Kommission bereits bekunden, bedeutet dies aber keineswegs die von Kritikern Brüssels erhoffte und geforderte Abkehr von der bisher subventionierten, export­orientierten „Agrarindustrie“ hin zur ökologischen Landwirtschaft. Im Vorfeld der definitiven, von Ministerrat und EU-Parlament Ende 2012 zu treffenden Entscheidung verschärft sich daher nicht nur der Ton der Gegner der Kommissionspläne, sondern er radikalisiert sich in einer Weise antiglobalististisch, der von nationalkonservativen Positionen nicht mehr weit entfernt ist.

Die schrillsten Töne sind dabei einem im fundamental-ökologischen Lager neu belebten apokalyptischen Bewußtsein geschuldet, das auch die Beiträge des jüngsten Heftes der Zeitschrift Politische Ökologie (128/12) grundiert. Dabei versammelt dieses 1987 von Jacob Radloff gegründete Periodikum eher das moderat linksbürgerliche Lager, wie es der 1966 geborene Herausgeber und vierfache Vater repräsentiert, der Chef des größten umweltpolitisch aktiven Verlagshauses im deutschsprachigen Raum, des „zertifiziert klimaneutral“ arbeitenden Münchner Oekom Verlages ist.

Trotzdem darf in der der Zukunft der „Welternährung“ gewidmeten Ausgabe Benedikt Härlin, einst Radikal-Mitherausgeber und für die Grünen im EU-Parlament, heute Berliner Büroleiter der „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“, Weltuntergangsängste schüren. Für Härlin ist die Party der industriellen Landwirtschaft vorbei. In der internationalen Agrarwissenschaft gelte es als „ausgemachte Sache“, daß der von „Agrarfabriken“ und Chemie geprägte Raubbau an Boden und Wasser dabei ist, seine „eigenen Grundlagen zu zerstören“. Er sieht also wieder einmal die „Grenzen des Wachstums“ erreicht, da er die großen Flüsse Chinas und Indiens als Folge von Pestizideinträgen für „vergiftet“ hält und „maritime Todeszonen“ in der Ostsee wie an den Mündungen von Mississippi und Mekong ausmacht. Für die „Tricks“ der letzten sechs Jahrzehnte exzessiver Agrarproduktion stehe Mutter Erde nur einmal zur Verfügung – ihre Reserven seien erschöpft.

Leider habe sich diese von Härlin hier kolportierte, wissenschaftlich untermauerte Einsicht weder bei Brüsseler noch bei Washingtoner Agrarplanern herumgesprochen, die den Weltmarkt für Agrarrohstoffe beherrschen und entschlossen seien, diese Dominanz mit jenen hergebrachten Methoden zu behaupten, die man 1957 in den Römischen Verträgen fixierte: Steigerung landwirtschaftlicher Produktivität durch Förderung technischen Fortschritts, Rationalisierung der Erzeugung und „bestmöglicher Einsatz von Produktionsfaktoren“. Maximen, die seitdem zu einer Verachtfachung des Mineraldüngerverbrauchs und zur Vervierfachung des Pestizideinsatzes führten.

Die Philosophie enthemmten Wachstums, so wird Härlin von Kerstin Lanje, Miserior-Referentin für Welthandel und Ernährung, unterstützt, habe die EU auch zum „Hunger-Exportweltmeister“ aufsteigen lassen. Denn ihre hochsubventionierten Fleisch- und Milchexporte, vor allem nach Afrika, zerstören dort die Strukturen bäuerlicher Landwirtschaft und gefährden die Ernährungssicherheit. Zwei Drittel der afrikanischen Staaten südlich der Sahara wären infolge der Öffnung ihrer Märkte für EU-Produkte von Exporteuren zu Nettoimporteuren von Nahrungsmitteln abgestiegen. Indien, so warnen die Agrarwissenschaftlerin Christine Chemnitz (Heinrich-Böll-Stiftung) und der Miserior-Referent Armin Paasch, stehe das gleiche Schicksal bevor. Zwar verweigerte Indiens Regierung im Februar dieses Jahres den Abschluß eines bilateralen Handelsvertrages mit der EU, um weiterhin 100 Millionen kleinbäuerlicher Existenzen und letztlich seine „Ernährungssouveränität“ zu schützen.

Doch Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso glaubt optimistisch, in Neu-Delhi würden die Interessen von 300 Millionen Konsumenten des indischen Mittelstandes jene der an der Hungergrenze existierenden Kleinbauern und Landlosen verdrängen. Damit könnten etwa Indiens hohe Einfuhrzölle auf Magermilchpulver bald der Geschichte angehören. Einer von der EU mittelfristig angestrebten kompletten Abschaffung aller Zölle auf Nahrungsmittel wäre damit der Weg ebenso geebnet wie dem kompletten Umbau des indischen Agrarsektors.

Dann stünde dem Subkontinent jene agrogentechnische „Grüne Revolution 2.0“ bevor, wie Brasilien sie aktuell durchlebt und wie sie Mosambik nach brasilianischem Modell anstrebt. Als ihren Vorläufer exponiert Ute Sprenger, Expertin für Technologiefolgenabschätzung, den 2009 verstorbenen US-Agrarwissenschaftler Norman Borlaug, der 1970 für die Züchtung eines „Wunderweizens“ den Friedensnobelpreis erhielt. Borlaugs ertragreiche Zwergweizensorten krempelten in den fünfziger Jahren Mexikos Landwirtschaft um, deren Monokulturen dann den Standard für die chemieintensiv ausgerichtete Agrarindustrie vieler Entwicklungsländer Asiens und Südamerikas abgaben. Schon Borlaugs „Modernisierung“ habe die Böden degradiert, die biologische Vielfalt reduziert und die globale Süßwasserkrise eskalieren lassen. Sie sei mithin für die „drei gravierendsten ökologischen Krankheitsbilder unseres Planeten“ genauso verantwortlich wie für die soziale Destabilisierung ländlicher Regionen und Ökonomien.

Das gentechnisch aufgerüstete „Agrobusiness“, mit dem sich Brasilien derzeit neben den USA und der EU als Agrarexport-Supermacht etabliere, schreite auf Borlaugs Pfaden bedenkenlos voran. Brasiliens Erfolge basieren auf ungebremstem Wachstum der exportorientierten Agroindustrie und der „gnadenlosen Erschöpfung der natürlichen Ressourcen“. Begleitet werde diese unheilvolle Entwicklung von der Spekulation mit Nahrungsmitteln, die Hunger verursache, aber für Großbanken wie Goldman Sachs, den Weltmarktführer für Roh-stoffinvestments, satte Gewinne einfahre.

Um das Ruder herumzuwerfen, empfehlen linke Ökologen wie Sprenger bemerkenswert konservative Therapien: Abkehr von Freihandel und Agrarindustrie, Rückkehr zu Einfuhrzöllen in den Entwicklungsländern und Schutz bäuerlicher Landwirtschaft weltweit. Härlin, auch wenn er nicht in die „vorfossile Landwirtschaft“ zurückfallen möchte, schwärmt gar wie der 2006 verstorbene österreichische Publizist und EU-Gegner Günther Nenning vom „Bauernstand und seiner Hauswirtschaft“, wenn er Ökoeffizienz und eine postindustrielle „bäuerliche, solare Agrarwirtschaft“ einfordert.

Übersicht der Legislativvorschläge der Europäischen Kommission für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2013:

www.stmelf.bayern.de

www.landwirtschaft-bw.info

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