© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Das Bild als Bild und umgekehrt
Retrospektive: Der Däne Per Kirkeby im Museum Küppersmühle in Duisburg
Sebastian Hennig

Ich denke, daß jedes Bild ein Bild an sich ist“, äußert sich der dänische Maler Per Kirkeby einigermaßen vorsichtig. Bei weitem wortreicher hat das einmal Martin Heidegger in seinem Aufsatz „Vom Ursprung des Kunstwerkes“ festgestellt. Am Beispiel der gemalten Holzschuhe von Vincent van Gogh erläutert er dort den Unterschied zwischen Machwerk und Kunstwerk. Für eine Gesellschaft, die es so herrlich weit gebracht hat wie die unsere, sollte die Autonomie der Kunst eine Selbstverständlichkeit sein, und daraus geschlußfolgert die Befreiung des Kunstwerkes von allen außerkünstlerischen Bezugnahmen vollzogen.

Dieses dient nun nicht mehr der Verherrlichung eines Potentaten, einer Partei, eines Volks, des neuen Menschen oder der Bibelkunde für Analphabeten. Aber weit gefehlt: Der Künstler kann offenbar nicht davon ablassen, auf Zustände und Gefühle außerhalb der zweidimensionalen Artistik von Farbe und Linie zu verweisen.

Einige wenige bleiben den unerschöpflich scheinenden Programmen der antiken Mythologie und der Bibel verpflichtet, deren visuelle Aufladung noch heute virulente Sprengkraft zu besitzen scheint. Viele andere suchen eine neue Aufgabe als postmoderne Bildschamanen und soziologische Zeichendeuter. Vielleicht gibt es ja eine angeborene ideologische Fallsucht und eitle Gefallsucht der Maler, welche sie veranlaßt, mit ihren Hervorbringungen in den Abglanzbereich der jeweils herrschenden Meinungsmajestät zu rücken.

Doch die Selbstherrlichkeit des Artisten wird von Kirkeby verbal beteuert: „Die Welt ist Material, aus dem man Kunst macht, vermittels eines kunsthistorischen Prozesses (…) eines Prozesses, der sich im tiefsten Inneren nicht kontrollieren läßt.“

Im Duisburger Hafen im Museum Küppersmühle sind die Manifestationen jenes kunsthistorischen Prozesses, soweit er sich im Atelier des Dänen vollzogen hat, nun auf Stapel gelegt. Die Retrospektive umfaßt achtzig Werke des 1938 geborenen berühmtesten lebenden Malers unserer nördlichen Nachbarn. Zwanzig Jahre war Kirkeby Kunstprofessor in Deutschland, erst in Karlsruhe, dann in Frankfurt, und seit bald vierzig Jahren vertritt ihn erfolgreich ein Galerist aus Köln.

Eine hohe gestalterische und farbliche Sensibilität zeichnet die Werke aus, ein sympathischer, nicht unkluger und nicht unsinnlicher Umgang mit den überlieferten Mitteln von Tafelmalerei, Druckgraphik und Zeichnung. Die eigensinnig-abgeklärten Gestaltungen wirkten innerhalb der nihilistischen und theoretisch-reflektiven Verkrampfungen zeitgenössischer Kunst der großen Mammutausstellungen in Kassel und Venedig immer schon als Linderungsverheißung. Aber den Bilderdurst stillen sie auch nicht. Ihre erfreuliche Entspanntheit ist oft nicht weit von Spannungslosigkeit entfernt.

Der Ausstellungstitel lautet in Duisburg nun „Maler – Forscher – Bildhauer – Poet“. Bevor Kirkeby sich ganz dem Kunstschaffen hingab, gehörte seine Aufmerksamkeit der Geologie, nahm er an Grönland-, Mittelamerika- und Arktisexpeditionen teil. Das nüchterne Wesen des angehenden Naturwissenschaftlers, der in der Malerei die konzentrierte Wissenschaft von den Erscheinungen entdeckte, fügt sich rückwirkend als pittoreske Verzierung in die Künstlerbiographie ein. Der ist nach soviel Erfolg und Praxis kein Geologe, der malt, sondern ein Maler, der Geologie studiert hat und dessen Bilder sich durch den Filter dieser Vorgeschichte ganz neuen Deutungsansätzen öffnen. Die neuesten Ölgemälde sind rotfeurig und frischgrün in Ensor- und Munchfarben. Die Quersumme aus diesen Klängen nähert sich der Kraft großer Kunst.

Doch Richtungslosigkeit läßt den grandiosen Aufflug meist in schönfarbigem Geflatter verenden. Dieser Mangel ist am deutlichsten an den Zeichnungen und Graphiken zu bemerken. Was Per Kirkeby nach langem Malprozeß auf der Leinwand den Blicken überläßt, verfügt zwar über einige Haltbarkeit und bedarf weniger der gedanklichen Stützung von außen, um nicht zusammenzufallen. Aber trotz allem Geheimnis in Duktus und Farbklang, ein Emil Nolde oder William Turner ist er nicht.

Immerhin gibt es hier einmal eine Bilderansammlung, die das Auge nicht durch Unter- oder Überforderung beleidigt. Was sonst nur zu oft als ungenügende Reflektiertheit des eigenen Künstlerseins in seiner Zeit abgetan wird, das darf sich nun einmal als Poesie und Forschertum hervortun. Der Künstler darf schlicht Maler und Bildhauer sein. Es sind Bilder und Skulpturen, mit denen man nicht so ganz froh werden kann, die einen aber auch nicht zu traurig zurücklassen.

Die Ausstellung „Per Kirkeby. Maler – Forscher – Bildhauer – Poet“ ist bis zum 28. Mai im Museum Küppersmühle Duisburg, Philosophenweg 55, täglich außer montags und dienstags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs ab 14 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 03 / 30 19 48 11

Der Katalog (Wienand-Verlag, Köln) mit 144 Seiten kostet 29 Euro. www.museum-kueppersmuehle.de

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