© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Gedenkpolitische Schieflage
Potsdam: Die neue Dauerausstellung im ehemaligen KGB-Gefängnis stößt bei den Opfern auf heftige Kritik
Ekkehard Schultz

Gedenkstätte: Ja. KGB-Museum: Nein!“ Unter diesem Motto brachten Mitte April rund 40 Opfer und Zeitzeugen am Ort des ehemaligen sowjetischen Untersuchungsgefängnisses in der Potsdamer Leistikowstraße ihren Protest gegenüber der offiziellen Gedenkpolitik zum Ausdruck. Nach ihrer Ansicht trägt die neue Dauerausstellung, die nach fast fünf Jahren jetzt eröffnet wurde, den weit über 1.000 Inhaftierten, Verfolgten und Getöteten aus der Nachkriegsära zu wenig Rechnung.

Der Konflikt zwischen den Zeitzeugen, von denen viele in der Zeitzeugeninitiative (ZZI) sowie im Verein „Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V.“ organisiert sind, und der derzeitigen Gedenkstättenleitung unter der Führung von Ines Reich war bereits im Sommer 2009 eskaliert. Ein Jahr zuvor war das Areal unter das Dach der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten überführt worden. Zuvor hatten die ehemaligen Häftlinge jahrelang in Eigenregie an diesem Ort Führungen veranstaltet. Viele fühlen sich seit der Übergabe der Verantwortung an die Stiftung ausgegrenzt und zu Statisten degradiert.

In einer Stellungnahme verweist die Leitung des Vereins darauf, daß die „Rechte der Zeitzeugen auf eigenständige Arbeit in dieser Gedenkstätte seit 2009 in unzulässiger Weise behindert“ würden. Zeitzeugengespräche, Führungen oder die Auslage von Veröffentlichungen der Erinnerungen ehemaliger Häftlinge seien „in der Gedenkstätte gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zugelassen“. Darüber hinaus verfehle die Dauerausstellung den Stiftungsauftrag, da in dieser Präsentation „einzelne Spionage-Fälle … aufgebläht“ und „die oft barbarischen Strafen bagatellisiert“ würden. Auf der anderen Seite fehlten jedoch Informationen zu Widerstandsgruppen.

Dagegen verweist die Leitung der Gedenkstätte darauf, daß das individuelle Schicksal der Opfer „anhand von exemplarischen Beispielen ausreichend dargestellt“ werde. Um gerade auch die jüngere Generation sowie Touristen für diesen Teil der Geschichte zu interessieren, sei es wichtig, detaillierter auf die historischen Hintergründe einzugehen. Kenntnisse über die Strukturen der sowjetischen Geheimpolizei könnten nicht einfach vorausgesetzt werden. Zudem müsse die neue Dauerausstellung mit dem Titel „Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam“, in die über 900.000 Euro vom Bund und vom Land Brandenburg investiert wurden, in erster Linie als „modernes zeithistorisches Museum“ und „weniger als Mahnmal“ verstanden werden, sagte Gedenkstättenleiterin Reich am Rande der Eröffnung.

Allerdings beschränkt sich die Kritik an der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten keineswegs nur auf den Potsdamer Gedenkort. So wird seit über zehn Jahren nur rund 20 Kilometer entfernt um die Erinnerung an das Nachkriegsunrecht im ehemaligen sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen gestritten. Auch dort beklagen viele Opfer die Schwerpunktsetzung der Dauerausstellung, in der der sowjetischen Lagerkommandantur überdurchschnittlich viel Beachtung geschenkt würde. Dagegen sei über Jahre hinweg die Erstellung eines Totenbuches erschwert worden. Zudem wurde die Hintanstellung der Opfer der kommunistischen Diktatur gegenüber den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft moniert, für die der dortige Direktor Günter Morsch eine wesentliche Verantwortung trage.

Im Hinblick auf die Situation in der Potsdamer Gedenkstätte erhielt der Zeitzeugenverein inzwischen Unterstützung von dem Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts, Patrick Kurth. Kurth verwies anläßlich der Eröffnung der Dauerausstellung darauf, daß die „Einwände der Zeitzeugen gegen das Konzept der Ausstellung bislang nicht ernst genug genommen“ wurden, „obwohl auch hochkarätige Fachleute sowie Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der Gedenkstätte mehrfach Nachbesserungen gefordert haben“.

Deswegen gelte es jetzt, „von Seiten der Gedenkstättenleitung auf die Überlebenden der kommunistischen Gewaltherrschaft zuzugehen“. Schließlich sei „es dem Engagement der ehemaligen Häftlinge zu verdanken, daß es die Gedenkstätte in ihrer jetzigen Form überhaupt“ gebe, so Kurth. In ähnlicher Form äußerte sich auch der Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. Es sei „unerträglich“, mit welcher Ignoranz die Leitung diejenigen behandele, „die eigentlich im Mittelpunkt stehen müßten“, sagte Knabe.

Die Dauerausstellung in der Leistikowstraße in Potsdam ist dienstags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

www.kgb-gefaengnis.de

Foto: Ministerpräsident Platzeck (SPD) bei der Eröffnung der Gedenkstätte: Unerträgliche Ignoranz

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