© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Nix Genaues meint man nicht
Studie zu jungen Moslems in Deutschland: Die politisch-korrekten Autoren wollen das Ergebnis ihrer eigenen Arbeit nicht wahrhaben
Fabian Schmidt-Ahmad

Es sind Possenspiele, wie sie wirklich nur in Deutschland stattfinden können. Da läßt das Bundes-innenministerium eine fast achthundert Seiten starke Studie zu den „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ erstellen (JF 11/12). Einen Tag vor der offiziellen Veröffentlichung am 1. März zitiert die Bild-Zeitung bereits aus der „Schock-Studie“. Und am Ende sieht sich deswegen ein Innenminister mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Fassen wir noch einmal den Verlauf des Sturms im Wasserglas zusammen.

„Junge Muslime verweigern Integration“, setzte Bild als Schlagzeile. Und gab damit den Ton vor. Sehr zum Entsetzen der Gruppe von Wissenschaftlern um Wolfgang Frindte von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Wir haben uns in den vergangenen drei Tagen ziemlich allein gelassen gefühlt“, klagte dieser lauthals in der Süddeutschen Zeitung. Es habe bei ihnen „Entrüstung gegeben, sogar Verzweiflung“. Alles nur, weil es Leute gibt, welche die Studien auch benutzen, die man selbst erstellt. „Daß Thilo Sarrazin jetzt sagt, er sehe sich durch die Studie bestätigt, ist tragisch.“ Ja, das alles mache ihn ein wenig „traurig“.

Allerdings dürften die Wissenschaftler von der Reaktion nicht ganz so überrascht gewesen sein. So wird einem in der Studie mit auf den Weg gegeben: „Wichtig ist an dieser Stelle, noch einmal darauf hinzuweisen, daß diese und die folgenden Prozentangaben keinesfalls weder auf alle in Deutschland lebenden Muslime im allgemeinen noch auf alle in Deutschland lebenden jungen Muslime im Alter von 14 bis 32 Jahren hochgerechnet werden können und dürfen.“ Mit anderen Worten: Egal, was andere mit unserer Studie machen, wir waschen unsere Hände in Unschuld.

Aus dem Zusammenhang gerissen, nicht repräsentativ genug, falsch interpretiert – so eingenebelt in ein Bollwerk des wissenschaftlich Ungefähren, dient man sich mit Kotau dem Zeitgeist an: „Der Dschihad ist in Deutschland noch nicht angekommen“, weiß Frindte zu berichten. „Und auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft haben wir ja eine ähnliche Problematik: Denken Sie an die NSU-Terroristen und ihre Opfer.“ Dergestalt unangreifbar konnte nur Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) als Sündenbock herhalten.

Warum eine Zeitung einen ganzen Tag früher aus der Studie zitieren konnte als alle anderen, wollte man von ihm am 1. März wissen. „Sie müssen die Bild-Zeitung fragen, woher sie sie hat. Von mir nicht“, sagte der Minister damals im ZDF. Und Innenstaatssekretär Christoph Bergner wiederholte ein paar Tage später im Bundestag: „Es hat keine öffentliche oder wie auch immer geartete Übergabe dieser Studie durch das Bundesinnenministerium an die Medien gegeben.“

Durch eine Anfrage der Linkspartei am 10. April zu einer Stellungnahme angehalten, wissen wir nun allerdings, daß die Presseabteilung des Innenministeriums in der Tat die Studie zur Vorbereitung eines Interviews vorab an die Bild-Zeitung gab. Friedrich entschuldigte sich bereits und sprach von einer Kommunikationspanne in seinem Hause. „Lügenminister“ beschimpfte dennoch die einwanderungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, den CSU-Politiker.

Alles frei nach dem Motto: Nicht die schlechte Nachricht, sondern ihr Überbringer ist das Problem: „Dieser Minister ist nicht nur unfähig, er wird mit seinem Rechtspopulismus immer mehr zu einer Gefahr für das friedliche Zusammenleben der Menschen in diesem Land.“

Seitdem schlagen alle auf den Innenminister und dessen trotzig wiederholte Feststellung ein, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Aber ändert das irgend-etwas an dem Inhalt der Studie?

Selbst die verantwortlichen Autoren können sich die von ihnen präsentierten Ergebnisse nur bedingt zurechtlegen. „Das Glas ist nicht ein Viertel leer, sondern mehr als drei Viertel voll“, betont zwar Frindt. Aber wenn sein eigenes Forscherteam eine muslimische Untergruppe von immerhin 15,4 Prozent ausmacht, die es als „streng religiös mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ beschreibt, dann ist das ein gewaltiges Problem.

In dieser Gruppe äußern demnach „60 Prozent stark ausgeprägte Vorurteile gegenüber Juden, 88 Prozent stark ausgeprägte Vorurteile gegenüber dem Westen, 80 Prozent religiös-fundamentalistische Überzeugungen, 84 Prozent negative Emotionen gegenüber dem Westen, 92 Prozent ausgeprägten Haß gegenüber dem Westen und 64 Prozent eine starke Demokratiedistanz“. Man stelle sich nur eine soziologische Studie über Deutsche mit derartigem Ergebnis vor. Niemand hätte da auf die drei Viertel im Glas hingewiesen.

Und auch der in der Studie – wie auch sonst – gebetsmühlenartig vorgetragene Satz, man dürfe den Islam nicht mit Intoleranz in Verbindung bringen, dieses würde Moslems verletzen und den Radikalen in die Arme treiben, wirkt durch die eigenen Ergebnisse hohl und nichtssagend. Denn die Autoren selbst zeigen auf, daß vor allem ausgerechnet die Gruppe der gewaltbereiten Radikalen „häufiger angeben, es mache sie wütend, wenn nach einem Terroranschlag alle Muslime als Terroristen verurteilt werden“. Man könnte auch sagen, es mache sie wütend, wenn man ihnen einen Spiegel vorhält.

Foto: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei einer Sitzung der Islamkonferenz: Von der Linkspartei als „Lügenminister“ bezeichnet

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