© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Gehlens Mann in Tunis
Brisantes über Top-Spion Richard Christmann
Wolfgang Kaufmann

Manchmal verbergen sich hinter wenig aussagekräftigen Titeln durchaus lesenswerte Bücher. So auch im Falle von „Im Schatten des Dritten Reiches“: Da ist man natürlich sofort geneigt, eine der üblichen platten „Aufklärungsschriften“ zu vermuten.

Doch Erich Schmidt-Eenboom, der Leiter des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik in Weilheim, und sein Koautor Ritzi verbreiten in ihrer Fallstudie über den Topspion des Amtes Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht und späteren BND-Residenten in Tunis, Richard Christmann (1905–1989), alles andere als Langeweile. Ihnen lag nämlich der brisante persönliche Nachlaß des Geheimdienstlers vor, durch dessen Auswertung sie den Bundesnachrichtendienst gleich dreifach desavouieren konnten: Zum ersten wird zum wiederholten Male gezeigt, in welch bedenkenloser Weise NS-belastete Personen in die Organisation Gehlen bzw. den BND übernommen wurden.

Zum zweiten gelang ihnen der hieb- und stichfeste Nachweis, daß der BND in der Vergangenheit Aktionen durchführte, die weit über die erlaubte Nachrichtenbeschaffung hinausgingen, das heißt darauf hinausliefen, die politischen Verhältnisse in anderen Staaten durch aktive subversive Maßnahmen zu beeinflussen. Christmann rekrutierte in Tunesien nämlich nicht nur 39 hochrangige V-Leute und Informanten, darunter Kabinettsmitglieder und den Geheimdienstchef des Landes, sondern griff auch aktiv in den Konflikt zwischen der algerischen Befreiungsbewegung FLN und der Kolonialmacht Frankreich ein, indem er die Aufständischen unter der Hand mit militärischen Ausrüstungsgegenständen belieferte.

Diese Aktivitäten, die samt und sonders Rückendeckung Pullachs hatten, waren Teil eines geheimen Grabenkrieges zwischen der Bundesrepublik und dem angeblich engen Nato-Verbündeten Frankreich. Und blamiert steht der BND außerdem auch deshalb da, weil die kürzlich von ihm mit großem Gepränge installierte elfköpfige Historikerkommission, deren Aufgabe die Erforschung der Frühgeschichte des Dienstes war, bei der Beantwortung der Kardinalfrage nach ungesetzlichen Auslandsoperationen des BND von Schmidt-Eenboom und Ritzi mehr als eindeutig überrundet wurde.

Matthias Ritzi, Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann. Verlag Ch. Links, Berlin 2011, gebunden, 248 Seiten, 19,90 Euro

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