© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Ein Feindbild, das bis heute wirkt
Axel Cäsar Springer: Ein Verleger im Visier einer ganzen linken Protestgeneration – und der Stasi
Günther Deschner

Als nichts weniger denn als „großer Journalist, Patriot und Gottsucher“ wollte der 1985 gestorbene Verleger Axel Springer der Nachwelt in Erinnerung bleiben. Bescheiden war der erfolgreichste Zeitungszar des 20. Jahrhunderts demnach nicht – aber vielleicht wäre das auch zuviel verlangt von einem, der den zweiten Vornamen „Cäsar“ trug.

Es ist kein Wunder, daß sich aus Anlaß seines bevorstehenden hundertsten Geburtstags sowohl das Fernsehen wie auch der Buchmarkt (soeben erschien von Tilman Jens „Axel Cäsar Springer – Ein deutsches Feindbild“) mit Deutungsversuchen und Rückblicken mit dem Mann beschäftigen, der nicht nur ein Verleger war, der einen Konzern gezimmert hatte, der in der Welt fast ohne Beispiel war und der die Bild-Zeitung erfand, die zu Europas auflagenstärkster Tageszeitung avancierte – sondern auch eine publizistische Macht, die zu einem deutschen Politikum wurde.

Doch Springer wollte nicht nur Auflage und Kasse, sondern auch Geschichte machen. So reiste er im Januar 1958 auf eigene Faust nach Moskau – um den sowjetischen Staatschef Chruschtschow mit einem selbstentworfenen Wiedervereinigungsplan für ein neutrales Gesamtdeutschland zu bewegen, wurde aber mit einem Interview abgespeist, das dann im Flaggschiff des Konzerns, der Welt erschien. Auch nach dieser Enttäuschung ließ es Springer nicht am Einsatz für die Wiedervereinigung fehlen. Sein neues Konzernhochhaus baute er direkt an die Berliner Mauer – als weithin sichtbares Symbol gegen die Teilung und die Herrschaft der Kommunisten in der DDR.

In seinen besten Zeiten stammten aus Springers Haus (so hatte es 1967 jedenfalls der Spiegel einmal ausgerechnet) fast 90 Prozent der verkauften Sonntagszeitungen, 80 Prozent aller Straßenverkaufszeitungen, je 70 Prozent der in Berlin und Hamburg vertriebenen Blätter und 56 Prozent der Programmzeitschriften. Spätestens in den sechziger Jahren, als seine Zeitungen gegen die linken Systemveränderer anschrieben, wurde Axel Springer zum doppelten Haßobjekt: zum Feindbild der linken Studentenrevolte in West-Berlin – und der SED-Regierung im Osten.

Die Anti-Springer-Kampagne, die in der Forderung nach der Entmachtung des Verlegers gipfelte, wurde zur größten Medienschlacht der sechziger Jahre. Den Startschuß dazu gab DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht. Am 21. April 1966 nahm er eine Rede zum 20. Jahrestag der SED zum Anlaß, um die Enteignung des Springer Verlags zu fordern. Nicht ganz so weit gingen Verlegerkonkurrenten und Befürworter einer „neuen Ostpolitik“ in der Bundesrepublik. So verlangte etwa Rudolf Augstein unter dem Titel „Lex Springer“ im August 1966 „nur“ eine gesetzlich festgelegte Begrenzung der Marktanteile des Axel Springer Verlags. „Kein einzelner Mann in Deutschland“, schrieb Augstein, habe „vor Hitler und seit Hitler so viel Macht kumuliert, Bismarck und die beiden Kaiser ausgenommen“.

Die Betonköpfe der SED und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) schauten dem Treiben interessiert zu und versuchten, im Geheimen kräftig mitzumischen. Für sie verkörperte Springer den perfekten Klassenfeind; auch weil er angeblich die Arbeiterklasse manipulierte und weil viele Drucker aus dem Osten in den Westen gegangen waren, da Springer gut zahlte. Mit Hilfe von Broschüren, Agenten und Agitation betrieben SED und MfS zunächst ihre eigene Anti-Springer-Kampagne. Beim Zentralkomitee der SED, Abteilung 62, wurde 1967 eine „Arbeitsgruppe zur Unterstützung der Anti-Springer-Kampagne in Westdeutschland und Westberlin“ gebildet, wie man aus der Studie „Feind-Bild-Springer“ der drei Stasi-Forscher Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle (2009) erfährt.

Die Losung „Enteignet Springer“ rückte nach der Erschießung des FU-Studenten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien im Jahr 1967 auch in das Zentrum des Streits zwischen Außerparlamentarischer Opposition und dem bundesrepublikanischen Establishment. Erstmals formuliert wurde sie im Berliner Extrablatt am 13. Mai 1967 von einem Stasi-Agenten. „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, ein blutiges Attentat“, sang Wolf Biermann 1968, „wir haben genau gesehen, wer da geschossen hat“. Und weiter: „Die Kugel Nummer eins kam aus Springers Zeitungswald, ihr habt dem Mann die Groschen auch noch dafür bezahlt.“

Springer wurde in einer 1967 und 1968 zunehmend hysterisierten öffentlichen Debatte im Westen zur Wiederkehr des deutschnationalen „Hugenberg-Typus“, der seine dämonisch überhöhte Meinungsmacht zur Konservierung „überholter“ politischer Positionen einsetzt. Er war das Gegenbild zu all dem, was damals als fortschrittlich galt. Das setzte jene Haßkaskaden frei, die später auch Rudi Dutschke bei Angriffen auf Springer-Filialen mitmachen ließen.

Während die Anti-Springer-Kampagne im Westen nach der Wahl Willy Brandts zum Kanzler einer sozial-liberalen Koalition verebbte, intensivierte die DDR-Staatssicherheit ihre Wühlarbeit gegen das Verlagshaus. Für die SED und ihr MfS war die Berichterstattung der Springer-Blätter über Menschenrechtsverletzungen in der DDR, über gelungene und gescheiterte Fluchten von DDR-Bürgern und vor allem ihr Festhalten am Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands unerträglich. Eine Spitzeninformantin der Stasi agierte noch in den siebziger und achtziger Jahren im engsten Umfeld des Verlegers, zahlreiche Spitzel waren auf Journalisten und andere Mitarbeiter des Verlages angesetzt.

Die von SED, MfS, Neuer Linken und allen möglichen Auguren der demokratischen Öffentlichkeit in den sechziger Jahren geführte Dauerkampagne gegen den Springer Verlag zeigt bis heute Wirkung. Obwohl zum Beispiel Springers Welt heute ihren Chef und viele Redakteure aus den Milieus rekrutiert, die in den Sechzigern die Studenten- und Kulturrevolte getragen haben oder von dieser Bewegung geprägt wurden, scheint das Verlagshaus Springer für Teile des linken Spektrums immer noch kein normales Unternehmen zu sein. Selbst der vor zwei Jahren gestartete Versuch des Verlags, sich Fehlern aus den sechziger Jahren zu stellen und der Öffentlichkeit eine lückenlose Dokumentation aller Artikel zugänglich zu machen, die in den Blättern des Hauses in den Jahren 1967 und 1968 über die linke Studentenbewegung erschienen waren, wird ihm von Ewigaggressiven als Versuch ausgelegt, Geschichte umzuschreiben und sich letztlich zum Sieger zu erklären.

Buchautor Tilman Jens zieht das Fazit: „Die Springer-Leute tragen ihre ‘Monstranz Axel’ umher, und die alten Apo-Kämpfer Kampfplakate ‘Enteignet Springer’, ‘Mörder Springer’. Ich habe gemerkt, welche Dimension dieses Feindbild hat und wie stark dieses Feindbild bis heute wirkt.“

TIlman Jens: Axel Cäsar Springer – Ein deutsches Feindbild. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2012, gebunden, 180 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Proteste gegen Springer nach dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968: Wiederkehr des deutschnationalen „Hugenberg-Typus“

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