© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Die offene Euro-Flanke
Währungsunion: Die Explosionsartige Ausweitung der Target2-Kredite belastet Deutschland extrem
Bernd-Thomas Ramb

Die verdeckte Einführung einer Schuldentransferunion im Euro-Währungsverbund wird offen diskutiert. Die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat sogar Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben, weil sie im Euro-Rettungspakt eine grundgesetzwidrige Einengung des Parlaments befürchtet. Politikern wie Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU), die als Abgeordnete der Regierungsfraktionen in offenen Widerstand gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) treten, erfahren breite öffentliche Unterstützung, als eine Allianz aus Regierungskoalition und rot-grüner Opposition versucht, sie über eine Änderung des Rederechts im Bundestag mundtot zu machen. Nur ein Thema findet kaum politisch-mediale Resonanz: die explodierenden Target2-Kredite der Deutschen Bundesbank.

Das mag an der etwas schwierigen Thematik liegen. Hilfszahlungen an notleidende Euro-Länder oder Schuldenschnitte wie im Falle Griechenlands erklären sich nahezu unmittelbar. Ein Target2-Kredit ist jedoch zunächst die banktechnische Beschreibung bestimmter Salden im Zahlungsverkehr zwischen den Zentralbanken der Euro-Länder, die organisatorisch im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) zusammengeschlossen sind. Das ESZB ist nicht gleichbedeutend mit der EZB, der Europäischen Zentralbank. Die EZB gehört neben den nationalen Zentralbanken als eigenständiges Mitglied dem ESZB an. Weiterhin sind nicht nur die nationalen Zentralbanken der 17 Euro-Länder Mitglied im ESZB, sondern auch die Zentralbanken der anderen EU-Staaten, die noch nicht den Euro als Gemeinschaftswährung eingeführt haben – oder dies nicht beabsichtigen.

Die gesetzliche Grundlage des ESZB ist der Maastricht-Vertrag, alle Ungereimtheiten oder Fehlentwicklungen bedürften somit einer Vertragsänderung auf der gesamten EU-Ebene, was juristisch die Sache nicht vereinfacht. Eine der Hauptaufgaben des ESZB klingt zunächst ganz harmlos: das reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs innerhalb der EU-Staaten zu fördern. Genau dazu wurde das Target-System (Trans-European Automated Realtime Gross Settlement Express Transfer System) eingerichtet (JF 15/12).

Der Zahlenanhang 2 weist darauf hin, daß das seit 2002 bestehende Vorgängersystem 2007 mit einer Echtzeit-Verrechnungstechnik ausgestattet wurde, die Buchungen also ohne Zeitverzögerung erfolgen. Kern der Target2-Vereinbarung ist der Tagesabgleich der Überweisungen zwischen den angeschlossenen Zentralbanken. Dabei wurde – was die entstandenen Probleme letztlich verursacht – für den Zahlungsausgleich der Euro-Länder ein negativer Saldo des Zahlungsverkehrs für zulässig erklärt.

Ein Beispiel der Funktionsweise des Target2 klärt weiteres. Ein griechischer Reeder kauft in Deutschland einen neuen Hochleistungsmotor. Er begleicht den Kaufpreis bei seiner griechischen Bank, eventuell unter Aufnahme eines Kredits. Seine Bank weist die griechische Zentralbank an, den Rechnungsbetrag bei der Bundesbank gutzuschreiben, möglicherweise selbst wieder unter Aufnahme eines entsprechenden Kredits unter Weiterleitung der Kreditabsicherung des Kunden. Die Bundesbank leitet das Geld an die Hausbank des deutschen Motorenhändlers weiter, und der Kauf ist damit abgeschlossen. Die Bundesbank belastet dabei das Guthabenkonto, das die griechische Nationalbank bei ihr unterhält – wenn es im Plus steht. Ansonsten verbucht sie den Betrag als Target2-Kredit.

Das Problem, das sich seit 2007 zunehmend entwickelt, ist die explosionsartige Ausweitung der Target2-Kredite, die insbesondere von den Euro-Krisenländern in Anspruch genommen werden. Bis 2007 betrug das Gesamtvolumen, das die Bundesbank verbuchen mußte, nur 18 Milliarden Euro. Seitdem ist die Summe raketenartig angestiegen. Letzter im Februar dieses Jahres erfaßter Stand: 560 Milliarden Euro.

Sie bilden den Hauptteil der „Sonstigen Forderungen“ der Bundesbank, die wiederum mittlerweile 63 Prozent ihrer Aktiva-Summe umfassen. Zwei Drittel des Bundesbankvermögens besteht somit aus Forderungen zum Ausgleich der Target2-Kredite. Im normalen Geschäftsleben wäre eine solche Bilanzverzerrung höchst verdächtig und dauerhaft unzulässig. Was aber passiert, wenn diese Forderungen nicht mehr ausgeglichen werden? Im ESZB-Verbund haften alle mit ihren EZB-Anteilen, Deutschland mit 18,94 Prozent.

Die Mindestverlustsumme, die der deutsche Steuerzahler bei den Target2-Krediten derzeit zu tragen hätte, beträgt somit 106 Milliarden Euro. Da die nicht am Euro beteiligten EU-Länder aber eine Haftung ablehnen werden, erhöht sich der deutsche Anteil auf 27 Prozent, also 152 Milliarden Euro. Eine theoretische Rechnung, denn die zahlungsunfähigen Staaten werden sich auch nicht an den Target2-Kreditverlusten beteiligen können, so daß letztlich nur die tatsächlichen Kreditgeber Deutschland, die Niederlande, Finnland, Österreich und (in optimistischer Sicht) Frankreich übrigbleiben. Der deutsche Schadensanteil schnellt damit auf 47 Prozent hinauf – eine Schadenssumme von mehr als 260 Milliarden Euro.

Sollten die entsprechenden Pleiteländer aus dem Euro ausscheiden, kämen zu dieser Schadenssumme noch die Verluste der EZB, insbesondere aus dem Aufkauf maroder Staatsanleihen, und die verlorenen Gelder aus der vergeblichen Euro-Rettung hinzu. Insgesamt würden die deutschen Staatsschulden von den derzeit bereits bestehenden 2 Billionen Euro schlagartig auf fast drei Billionen ansteigen. Kein Wunder, daß die dann folgenden „Alternativen“ von den politisch dafür Verantwortlichen als alternativlos weggedacht werden.

Informationsportal des Bundes der Steuerzahler in Bayern zu Target2-Krediten: www.target-2.de

 

„Target2“-Kredite in der Euro-Krise

Voriges Jahr löste das Münchner ifo-Institut mit Veröffentlichungen zu den „Target2“-Krediten der Bundesbank eine Diskussion unter Finanzexperten aus. „Deutschland hat bis Februar 2011 für 321 Milliarden Euro Target-Forderungen gegen die EZB aufgebaut, und die GIPS-Länder, also Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, haben bis zum Ende des Jahres 2010 für rund 340 Milliarden Euro verzinsliche Target-Verbindlichkeiten gegen die EZB angesammelt“, schrieb ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Nach aktuellen ifo-Berechnungen sind seit Juli 2011 allein von den Notenbanken Italien und Spaniens Target-Kredite im Umfang von Milliarden Euro gezogen worden. Leidtragende seien die Sparer der noch soliden Länder Europas: „Pro Erwerbstätigen sind in Deutschland auf diese Weise bereits für 15.000 Euro Ersparnisse in Target-Forderungen verwandelt worden. In den Niederlanden sind es 17.000 Euro und in Finnland gar 21.000 Euro“, so das ifo-Institut.

ifo-Portal zu Traget2-Haftungssummen: www.cesifo-group.de

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