© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Husarenstreich mit Folgen
Argentinien: Die Verstaatlichung der Petroleumgesellschaft YPF, Tochter des spanischen Ölmultis Repsol, erntet Applaus in Lateinamerika und Kritik in Europa
Michael Johnschwager

Hatte Venezuelas Machthaber Hugo Chávez seiner argentinischen Amtskollegin Cristina Fernández de Kirchner die Hand geführt, als diese die Verstaatlichung der nationalen Petroleumgesellschaft YPF – einer Tochter des spanischen Energiekonzerns Repsol – anordnete? Eine „feindliche Geste“, lautete die spanische Interpretation auf den Überraschungscoup aus Buenos Aires.

Die Reaktion des spanischen Konzerns ließ nicht lange auf sich warten. Repsol verlangt eine Entschädigung in der Größenordnung von zehn Milliarden US-Dollar und beeilte sich, das Schiedsgericht der Weltbank anzurufen.

Erwartungsgemäß stieß der „Husarenstreich“ von Argentiniens Präsidentin in Kuba, Nicaragua und Venezuela auf Zustimmung, während er auf dem Alten Kontinent verurteilt wurde. Mahnende Worte waren aus dem Munde von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu vernehmen. Er äußerte sich „enttäuscht und ernsthaft besorgt“. Offenkundig nicht unbegründet, schließt die resolute Argentinierin ähnliches Vorgehen bei Telefonkonzernen und Banken doch nicht aus. Die von ihr geschaffenen vollendeten Tatsachen beschäftigen die Außenminister Europas bei ihrer nächsten Brüsseler Zusammenkunft.

In besonderem Maße sieht sich die Regierung in Madrid auf den Plan gerufen. Ministerpräsident Mariano Rajoy sprang der bedrängten Repsol bei und aktivierte diplomatische Kanäle bei der Suche nach Verbündeten auf dem Subkontinent. Mit der Bitte um Unterstützung wandte er sich unter anderem an Mexiko und Kolumbien. Mexikos Pemex sowie Kolumbiens Ecopetrol mischen mit beim globalen Ölmonopoly. Beide Länder signalisierten bereits ihre Bereitschaft, die spanische Karte zu spielen. Parallel hatte Regierungssprecherin Soraya Sáenz de Santamaría die Einschränkung der Einfuhr von Biodiesel aus Argentinien verkündet.

Aus dem Blickwinkel Argentiniens betrachtet, mag deren Präsidentin auch die ernsthafte Besorgnis angesichts dramatisch sinkender Einnahmen aus der Petroleumindustrie umtreiben. Doch will dieses Vorgehen so gar nicht in die traditionell guten Beziehungen zwischen beiden Ländern passen. Sie sind stark miteinander verflochten, wie bei einem Blick auf wirtschaftliche Kennziffern ersichtlich wird. So führen die Spanier die Liste ausländischer Investoren in Argentinien an und haben damit sogar die USA vom ersten Platz verdrängt. Dies steht nun auf dem Spiel.

Tendenzen eines wieder erstarkten – mehr oder minder betonten – nationalen Selbstwertgefühls in Lateinamerika kennzeichnen auch Kirchners politischen Weg. Mit einer ansehnlichen Wahlkampfspende über 800.000 US-Dollar bei ihrer Wiederwahl hatte ihr Chávez 2011 den Weg in die Casa Rosada geebnet. Generös unterstützt der starke Mann in Caracas dabei Bestrebungen, den Idealen seiner „Bolivarianischen Revolution“ länderübergreifend zum Durchbruch zu verhelfen. Seine Amtskollegin am Rio de la Plata ist eine Parteigängerin des legendären Juan Domingo Perón und hat es verstanden, seinem Beispiel folgend große Teile der Bevölkerung hinter sich zu scharen.

Kirchner setzt auf deren Solidarität und Nationalstolz, wenn sie dem in Ungnade gefallenen Energieerzeuger in Spanien vorwirft, mit überhöhten Dividenden einseitig den Interessen der Aktionäre zu dienen. Darüber würden dringend erforderliche Investitionen in die Gas- und Erdölfelder des Landes sträflich vernachlässigt.

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