© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

„Meinetwegen bin ich ein rechter Linker“
Alain de Benoist gilt als der führende französische Rechtsintellekutelle. Am Mittwoch hat er in der Berliner Bibliothek des Konservatismus sein neues Buch vorgestellt: „Am Rande des Abgrunds. Eine Kritik der Herrschaft des Geldes“
Moritz Schwarz

Herr de Benoist, Sie sind Philosoph, kein Wirtschaftswissenschaftler. Was bitte haben Sie uns über die Finanzkrise zu sagen?

Benoist: Ich interessiere mich bereits seit zwanzig Jahren für Wirtschaftsfragen. Außerdem ist die Wirtschaft keine autonome Wissenschaft. Aus Sicht des Philosophen gibt es viel über ihre Hintergründe und ihre Grundlagen zu sagen. Der Philosoph kann zum Beispiel aufzeigen, daß der Kapitalismus nicht nur ein Wirtschaftssystem ist, sondern ein anthropologisches System, das auf einem bestimmten Menschenbild, dem des Homo œconomicus, beruht. Er kann das Geld als ein universelles Äquivalent definieren, das es ermöglicht, jede Qualität auf eine Quantität zu reduzieren. Er kann die Folgen der Kolonisierung des symbolischen Imaginären durch rein kommerzielle und marktwirtschaftliche Werte beschreiben und bewerten.

Die europäischen Staaten stöhnen derzeit unter der schwindelerregenden Euro-Rettungskrise. Dabei kommt das Problem Ihrer Meinung nach gar nicht aus Europa, sondern aus den USA?

Benoist: Sie haben mich falsch verstanden. Die aktuelle Finanzkrise begann 2008 mit der „Subprime“-Krise in den USA, und die Amerikaner haben allen Grund, sich über die Euro-Krise zu freuen – aber das reicht nicht aus, um sie für die gegenwärtige Situation verantwortlich zu machen. Die Europäer trifft zumindest eine Mitschuld daran. Beide, Amerikaner wie Europäer, sind Opfer der von den Banken und Finanzmärkten vorangetriebenen Logik des Kapitals. Ein bedeutender Wendepunkt war mit dem Gesetz erreicht, das im Januar 1973 in Frankreich verabschiedet wurde. Damit wurde der französischen Zentralbank die Möglichkeit genommen, dem Staat zinsfreie Darlehen zu gewähren. Diese Verfügung fand mittlerweile Eingang zunächst in den Maastrichter, dann auch in den Lissaboner Vertrag. Da die Staaten sich nun kein Geld mehr bei den Zentralbanken leihen können, müssen sie statt dessen zu mehr oder weniger günstigen Bedingungen Kredite aufnehmen – und zwar bei Banken, die sich ihrerseits bei den Zentralbanken zu sehr niedrigen Zinssätzen refinanzieren können. Dadurch haben die Staaten sich von Privatinteressen abhängig gemacht, von denen sie nun aufgrund ihrer Verschuldung kontrolliert werden.

Der Untertitel Ihres neuen Buches „Am Rande des Abgrunds“ lautet: „Eine Kritik der Herrschaft des Geldes“.

Benoist: Ja, ich will aber das Geld nicht abschaffen, wie mancher da vielleicht im ersten Augenblick herauszulesen meint, sondern es geht mir darum, der Dominanz der Finanzmärkte über die Politik etwas entgegenzusetzen. Diese Dominanz hat bereits dazu geführt, daß die südeuropäischen Staaten von Technokraten, Bankiers und den Vertretern von Goldman Sachs und Lehman Brothers regiert werden, während die „Sparprogramme“ ein zu Friedenszeiten noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht haben und die Völker abzutöten drohen.

In Deutschland lautet die Antwort auf die Krise des Kapitalismus: „Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft“. Das ist Ihnen, wie Sie in Ihrem neuen Buch deutlich machen, zu wenig. Warum?

Benoist: Die soziale Marktwirtschaft gehört einer anderen Ära an. Der Kapitalismus heutiger Prägung unterscheidet sich stark vom industriellen und Warenkapitalismus des 19. oder selbst des 20. Jahrhunderts, der immer noch national verankert war. Der heutige Kapitalismus ist ein Kapitalismus des „dritten Typs“, ein deterritorialisierter Finanzkapitalismus. Wer glaubt, die Logik des Kapitals reformieren, moralisieren oder ihr Schranken setzen zu können, gibt sich Illusionen über dessen wahres Wesen hin. Die Logik des Kapitals beruht auf einem Prinzip der Grenzenlosigkeit – der „Unendlichkeit des Kapitals“ –, gleichsam einer globalen Entfesselung dessen, was Heidegger als „Ge-stell“ bezeichnet: die Durchrationalisierung der Welt an der Axiomatik des Eigennutzes, ihre Transformation in einen riesigen Markt der Verbraucher, auf dem kollektive Identitäten, geteilte Werte, Kulturen und Völker nichts zählen.

Sie gelten gemeinhin immer noch als „Vordenker der französischen Neuen Rechten“. Tatsächlich aber sollen Sie sich schon lange gewandelt haben.

Benoist: In welcher Hinsicht sollen sich meine Positionen „gewandelt“ haben?

In Ihrem Buch finden sich Aufrufe wie „Wider die kapitalistische Ordnung!“ Das klingt für manche nach sozialistischer Terminologie.

Benoist: Der Ideengeschichtler weiß, daß die Kapitalismuskritik historisch gesehen keineswegs allein dem Sozialismus vorbehalten ist. Der Beobachter der Gegenwart muß darüber hinaus feststellen, daß die große Mehrheit der „Sozialisten“ sich längst auf die Seite des Kapitalismus und der Marktgesellschaft geschlagen hat. Vergleichen Sie doch nur die Positionen von François Hollande mit denen von Georges Sorel!

In Ihrem Buch beziehen Sie sich zum Beispiel sehr ausgiebig auf Karl Marx.

Benoist: Karl Marx selber sagte, er sei kein Marxist! Genausowenig bin ich Marxist. Ich lese Marx, so wie man jeden Autor lesen sollte: ohne Verehrung und ohne vorgefaßte Meinungen. Seine allgemeine Geschichtsphilosophie, die ganz im Zeichen des Historismus der Fortschrittsideologie steht, halte ich für völlig falsch. Die Art und Weise, wie er den Kapitalismus wahrnimmt und analysiert, zeugt hingegen von bemerkenswerter Klarsicht. Seine Anmerkungen zur Verdinglichung der sozialen Beziehungen oder zum Warenfetischismus sind heute aktueller als je zuvor.

Wie würden Sie sich heute selbst einordnen? Sind Sie ein Linker?

Benoist: Ich definiere mich über mein Werk, nicht über ein Etikett. Etiketten sind für Marmeladengläser. Wenn Sie mir unbedingt ein Etikett aufkleben müssen, dann bezeichnen Sie mich meinetwegen als „rechten Linken“ oder auch als jemanden, der bisweilen linke Ideen und rechte Werte kombiniert. Aber damit ist keineswegs alles über mich gesagt. Im Grunde sind mir derartige Zuschreibungen gleichgültig, weil sie vollkommen nichtssagend sind. Was haben Stalin und François Mitterrand, Rosa Luxemburg und Jean Jaurès, Proudhon und Ernst Niekisch, Blanqui und Harro Schulze-Boysen, Trotzki und Sorel, Lionel Jospin und Walter Benjamin, Papandreou und Anton Pannekoek, Zapatero und Gustav Landauer miteinander gemeinsam – doch nur, daß man sie alle irgendwie als „Linke“ einordnen könnte! Welche Bedeutung hat dieser Begriff dann überhaupt noch? Die Spaltung zwischen Rechts und Links ist zudem unter heutigen Bedingungen zunehmend obsolet. In Fragen wie dem Verhältnis zu Europa und den USA, dem Krieg in Afghanistan, der Finanzkrise usw. gibt es nicht eine „rechte“ und eine „linke“ Haltung, sondern eine Vielzahl von Haltungen, die neue Spaltungen entstehen lassen. Den Wert einer Idee danach zu beurteilen, ob sie „rechts“ oder „links“ ist, ist ein Ausdruck von geistiger Faulheit. Der einzige Gegensatz, der mich persönlich interessiert, ist die Unterscheidung zwischen Ideen, die richtig, und solchen, die falsch sind.

In Frankreich ist Ihre Art der Kritik an Einwanderung und das Vertreten eines nationalen Protektionismus durchaus kompatibel mit einer gewissen Strömung auf der linken Seite. In Deutschland dagegen sind Einwanderung und Nation für die Linke fast ein Tabu. Ist das ein Fehler?

Benoist: Ich bin kein religiöser Mensch, daher kenne ich keine Tabus. In Frankreich hat ein linker Publizist wie Jean-Claude Michéa kein Problem damit, darauf hinzuweisen, daß die Einwanderung aus Sicht der Wirtschaft ganz offensichtlich eine probate Methode ist, die Löhne und Gehälter nach unten zu drücken. Das ist auch der Grund dafür, daß die Arbeitgeber seit jeher mehr Einwanderung befürworten und fordern. Die Einwanderer sind die Reservearmee des Kapitals! Der Kapitalismus ist zudem von seinem Wesen her sehr viel „internationalistischer“, als es der Kommunismus jemals gewesen ist. Er lehnt jegliche Form von Protektionismus ab und fördert und fordert einen freien weltweiten Umlauf von Menschen und Waren. Grenzen erkennt er nicht an. Konservative, die die Logik des Marktes unterstützen, unterstützen damit in Wirklichkeit gerade diejenigen Kräfte, die an der Zerstörung dessen arbeiten, was sie bewahren wollen – um mit Bossuet zu sprechen, sie bedauern die Folgen, deren Ursachen sie gutheißen. Wer Kritik am Kapitalismus übt und dabei die Einwanderung befürwortet, ist ein Betrüger. Wer Kritik an der Einwanderung übt und den Kapitalismus befürwortet, sollte lieber schweigen.

Allerdings lehnen Sie auch den traditionellen Nationalstaat ab. Wie soll dann der Protektionismus organisiert werden?

Benoist: Ich lehne den Nationalstaat nicht grundsätzlich ab, und selbstverständlich geht es mir nicht darum, die Nationen abzuschaffen. Ich stelle lediglich fest, daß sich der Nationalstaat in der Krise befindet. Dieselbe Feststellung traf Carl Schmitt bereits in den dreißiger Jahren. Diese Krise ist zugleich eine Krise des Politischen, dessen Stellung zunehmend durch die Finanzwirtschaft und die Expertokratie in Frage gestellt wird. Im Zeitalter der Moderne lag die Macht grundsätzlich beim Nationalstaat. Im Zeitalter der Postmoderne hat die Machtinstanz gewechselt: Der Staat hat sein Monopol verloren, und seine Handlungsmöglichkeiten verengen sich zunehmend. Seit nunmehr über vierzig Jahren höre ich die deutschen Konservativen vom „Nationalstaat“ reden. Sie haben nicht verstanden, daß auch in Deutschland ein neues Zeitalter angebrochen ist und daß es nichts Schlimmeres gibt, als den historischen Moment mit den konzeptionellen Mitteln der Vergangenheit analysieren zu wollen. Ich würde Ihnen insofern recht geben, als daß der Nationalstaat, wenn er dies wollte, protektionistische Maßnahmen einsetzen könnte. Die Europäische Kommission könnte dies auf europäischer Ebene ebenso. Das Problem ist, daß weder der eine noch die andere das tun werden, da beide Institutionen selber von den Finanzmärkten kontrolliert werden.

Sie sind in Deutschland erstmals 1982 mit „Zur Erkennung des Hauptfeindes“, einer Streitschrift gegen den Liberalismus, bekannt geworden. Kann man „Am Rande des Abgrunds“ eigentlich als Fortsetzung Ihrer Kritik am Liberalismus auf dem Feld der Wirtschaft verstehen?

Benoist: Ja, natürlich. Arthur Moeller van den Bruck sagte bereits 1923: „Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“

Also was ist denn dann mit Ihrem Verhältnis zur Neuen Rechten?

Benoist: Im Laufe meines Lebens hat mein Denken gewiß einige Wendungen durchgemacht – die Rolle eines Intellektuellen oder eines Theoretikers besteht nicht darin, sich zu wiederholen, sondern seine Ideen und sein Gedankengut ständig zu vertiefen und dabei den ständigen Wandel seiner Lebenswelt zu berücksichtigen. Mit den wesentlichen Inhalten jener Strömung, die Sie als „Neue Rechte“ bezeichnen – was keine Selbstbezeichnung war, sondern ein 1979 von den Medien erfundenes Etikett –, habe ich aber niemals gebrochen. In meinen Lebenserinnerungen, die jüngst unter dem Titel „Mémoire vive“ in Paris erschienen sind, wird ganz im Gegenteil die Kontinuität meines „Denkwegs“ sehr deutlich sichtbar, wie ich glaube.

Wenn ich es recht verstehe, dann prophezeien Sie in „Am Rande des Abgrunds“ zwar das Auseinanderbrechen der Euro-Zone, ziehen aber – durch Abwertung des Euro – deren Rettung vor. Warum wollen Sie den Euro retten?

Benoist: Den Euro retten? Der Euro hätte nur dann eine Chance gehabt, wenn sein Wert nicht auf der Grundlage der ehemaligen D-Mark berechnet worden wäre – worauf Deutschland seinerzeit aus verständlichen Gründen bestanden hat – und wenn seine Einführung von der Durchsetzung eines echten europäischen Protektionismus begleitet worden wäre. Geschehen ist genau das Gegenteil. Der Euro hat sich mittlerweile für die südeuropäischen Staaten als unbrauchbar erwiesen und das Problem der Staatsschulden beträchtlich verschlimmert. Aktuell ist der Euro die Währung eines Landes, das es nicht gibt. Ich glaube, daß es zu einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone kommen wird, nicht aber zur Abschaffung des Euro – es sei denn, Deutschland entscheidet sich für einen Austritt aus der Gemeinschaftswährung, was aber kaum wahrscheinlich sein dürfte. Sollte er aber tatsächlich abgeschafft werden, so glaube ich, daß es sinnvoll wäre, ihn zu erhalten, und zwar nicht als Einheitswährung, sondern als Währungseinheit nach dem Vorbild der ehemaligen Europäischen Währungseinheit Ecu, die eine alternative Reservewährung zum Dollar darstellen würde. Ich bin keineswegs gegen eine Rückkehr zu den Landeswährungen. Eine solche Rückkehr würde jedoch keines der grundlegenden Probleme lösen.

 

Alain de Benoist, gilt als Begründer und führender Theoretiker der „Nouvelle Droite“, der „Neuen Rechten“ in Frankreich. Der Publizist ist Herausgeber der Zeitschriften Nouvelle École und Krisis sowie ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Eléments und hat bislang mehr als fünfzig Bücher veröffentlicht, darunter auch eine Vielzahl in deutscher Sprache. Geboren 1943 in der Nähe von Tours in Zentralfrankreich studierte Benoist Verfassungsrecht, Philosophie und Religionswissenschaft und zählt zu den Mitbegründern der Denkfabrik „Groupement de Recherche et d’Etudes pour la Civilisation Européenne“ (GRECE). Heute lebt er in Paris und befaßt sich bevorzugt mit politischer Philosophie und Ideengeschichte. Sein neuester Essay „Am Rande des Abgrunds“ ist nun in der Edition JF erschienen. Benoist untersucht darin die Ursprünge der Finanzkrise und identifiziert die Krise nicht als ein konjukturelles, sondern ein strukturelles Problem: als Folge der Logik des Kapitals. Ein solches System, folgert er, kann nicht ewig bestehen.

www.alaindebenoist.com

Foto: Philosoph Alain de Benoist über den Dächern von Paris: „Ich definiere mich über mein Werk, nicht über ein Etikett. Etiketten sind für Marmeladengläser.“

 

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