© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Der Geist aus der Maschine
Der Super-Computer „Watson“ gilt als Meilenstein auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz
Michael Manns

Das Duell erinnerte an die Schachpartie zwischen „Deep Blue“ und Garri Kasparow. Dem IBM-Computer war es 1996 gelungen, den damaligen Schachweltmeister zu schlagen. Es war einer der spektakulärsten Triumphe im Duell Maschine gegen Mensch. Kürzlich betrat „Watson“, wieder ein IBM-Konstrukt, erneut die Bühne, besiegte in einer US-Ratesendung die menschlichen Konkurrenten und wurde zum Fernsehstar.

Ort der Auseinandersetzung zwischen künstlicher und natürlicher Intelligenz war die beliebte US-Spielshow „Jeopardy!“. Sie startete 1964 bei NBC und ist eine der populärsten Sendungen. Dort werden Antworten vorgegeben, zu denen die passende Frage gesucht ist. Allerdings ist dazu oft das „Um-die-Ecke-Denken“ erforderlich – das Verbinden verschiedener Wissensgebiete per Assoziieren. „Watson“ brillierte. Er wußte beispielsweise, daß es um Narkolepsie ging, als die vorgegebene Antwort lautete: „Du brauchst nur ein Nickerchen. Du hast nicht diese Krankheit, die Menschen dazu bringt, im Stehen einzuschlafen.“

„Watson“ kann aber etwas, was „Deep Blue“ niemals geschafft hätte: Er versteht und spricht natürliche menschliche Sprache. An diesen Antwortmaschinen haben die Forscher seit Jahrzehnten gearbeitet. Sie können nicht nur enzyklopädisches Wissen abrufen, sondern Zusammenhänge zwischen Themenfeldern und Fragen herstellen. Ziel ist es, daß der Computer Ironie, Wortwitz und Zwischentöne begreifen kann, daß er fehlende Puzzlesteine entdeckt, daß er zurückfragen und Assoziationsketten entwickeln kann. Kurz: Daß er mit einem Menschen redet und sinnvolle Antworten gibt. Und das alles mit unglaublicher Geschwindigkeit.

Noch vor einigen Jahren war Künstliche Intelligenz ein Megathema in der Wissenschaft. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann die Maschinen die menschlichen Fähigkeiten überflügeln würden. Dazu kamen äußerst kühne Spekulationen bis hin zu der Vorstellung, das menschliche Bewußtsein auf einer Festplatte zu speichern. Oder die Visionen des US-Futurologen Ray Kurzweil. Er sagte voraus, daß man im Jahr 2019 für 1.000 US-Dollar die tausendfache Rechenleistung des menschlichen Gehirns kaufen könne.

Die Hoffnungen und Erwartungen aber blieben bisher weitgehend unerfüllt. Der Neurobiologe Ad Aertsen vom Bernstein Center der Uni Freiburg weist auf die Komplexität des menschlichen Gehirns hin. In einem Kubikmilliliter Gehirn seien 100.000 Zellen. Jede habe 20.000 Bindungen. Ein mathematisches Modell der physikalisch-chemischen Hirnvorgänge sei nicht möglich. Es sei noch nicht einmal möglich, die Vorgänge (auf atomarer Ebene) in einer einzigen Zelle darzustellen.

Vor einigen Jahren wurde im Magazin Spektrum der Wissenschaft eine Zwischenbilanz über die Zukunft der Informationstechnik gezogen und vor allzu kühnen Prognosen gewarnt. Es gelinge seit einem halben Jahrhundert nicht, das Strömungsverhalten eines nur mäßig wilden Bergbachs einigermaßen befriedigend mathematisch zu modellieren, und die Chancen dafür, daß es in den nächsten fünfzig Jahren gelingt, stünden nach allgemeiner Überzeugung schlecht. Wie solle das beim menschlichen Denken gelingen?

David Gelernter, einer der brillantesten Computerforscher der Gegenwart, ist skeptisch: Von dem Traum, „einen Geist aus Software zu bauen“, seien wir weit entfernt. „Kein Computer wird je wie ein Mensch denken können, wenn er nicht frei assoziieren kann“, schrieb der Yale-Professor in der FAZ. Zweitens gebe es für Menschen nicht den Unterschied zwischen Realität und Gedanken. Wenn wir träumen, uns etwas vorstellen oder halluzinieren, verwischen sich die Grenzen zwischen Gedanken und Welt, die äußere Realität verschwindet, es entsteht eine subjektive Realität. Gelernter: „Kein Computer wird je wie ein Mensch denken können, wenn er nicht halluzinieren kann.“

Was der Maschine überdies abgehe seien Gefühle. „Gefühle sind der Schlüssel zu neuen, unerwarteten Analogien, Gefühle fassen Erfahrungen zusammen“, so Gelernter. Ein warmer Frühlingstag kann Erinnerungen auslösen an ein erstes Rendezvous, an Tage in der Kindheit, an einen Film.

Diese Emotionen können dazu führen, verschiedene Ereignisse miteinander zu verknüpfen. Und Gelernter folgert: „Kein Computer wird je kreativ sein, wenn er nicht alle Nuancen des menschlichen Gefühlslebens zu simulieren vermag.“ Gelernter würde niemals eine Software gegen seinen Papageien eintauschen. Technisches Gerät ist für ihn technisches Gerät – mehr nicht.

Zurück zum „Watson“. Natürlich verpulvert IBM nicht Millionen Dollar für Quizshow-Mätzchen. Mit dem System soll Geld verdient werden und es soll dort zum Einsatz kommen, wo Menschen sehr schnell auf umfangreiches Wissen zugreifen müssen. Beispielsweise in der Medizin. Durch Forschung wächst das Wissen über den menschlichen Körper, Therapien und Behandlungsmethoden ständig an. Ein Arzt kann all dieses Wissen unmöglich im Kopf haben und bei akuten Diagnosen fehlt die Zeit, Bücher zu wälzen. Hier könnte Watson auf konkrete Fragen und Beschreibungen eines Arztes das richtige Wissen zur Verfügung stellen, um schnell auch komplexe Diagnosen erstellen und die richtige Behandlungsstrategie entwickeln zu können.

IBM beruhigt die Öffentlichkeit: Die Technik, die „Watson“ einsetze, sei „ein Werkzeug, um die Fähigkeiten der Menschen zu erweitern, nicht aber eines, um diese zu ersetzen oder zu kontrollieren“. Und David Ferrucci, der die „Watson“-Entwicklung begleitet hat, ist sicher, daß die menschliche Intelligenz der des Computers weiter überlegen sein wird.

 

US-Supercomputer „Watson“

Der Supercomputer „Watson“ ist benannt nach dem IBM-Gründer Thomas J. Watson, der aus IBM eine Weltfirma machte. Vier Jahre brauchte ein Team von 25 Experten, um die Maschine mit Daten zu füttern. Im Datenspeicher sind die Texte unzähliger Bücher und Zeitungen gespeichert. Alles zusammen entspricht einer Million Büchern. Der Rechner hat 2.880 Server, die simultan arbeiten. Umfang des Arbeitsspeichers: 16 Terabyte. Das entspricht etwa dem viertausendfachen eines PCs. Pro Sekunde führt Watson mit Hilfe von 90 3,5-Gigahertz-Prozessoren 80 Billionen Rechenoperationen aus. So findet er in drei Sekunden die wahrscheinlichste Antwort. Ein PC würde dazu zwei Stunden brauchen. Damit Watson diese Aufgabe bewältigen kann, füllt seine Hardware zehn kühltruhengroße Rechnerschränke. Er arbeitet wie eine Megasuchmaschine, die sich rasend schnell durch ihr gigantisches Speicherwissen wühlt. In dem Netz bleiben dabei zunächst Hunderte mögliche Antworten hängen, dann entscheidet ein Programm, welche Lösung die größte Wahrscheinlichkeit besitzt, auf das Rätsel zu passen.

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