© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Eine Trutzburg für den BND
Ein Stasi-Oberst blickt neidisch auf die „Geheimdienst-Supermacht BRD“
Paul Leonhard

In Berlin wird zur Zeit etwas gebaut, von dem Gotthold Schramm wohl schon immer geträumt hat, wenn auch unter anderem Vorzeichen: eine hochmoderne, nach allen Sicherheitserfordernissen erdachte Geheimdienstzentrale. An der Chausseestraße, wo einst das Walter-Ulbricht-Station stand, wird künftig der Bundesnachrichtendienst (BND) seinen Sitz haben.

Bis zu zwei Milliarden Euro dürften der Neubau plus technischer Ausstattung und der komplette Umzug von München-Pullach am Ende kosten. Es wird geklotzt, nicht gekleckert. Unverdientermaßen, wie Schramm in seinem Buch „Die BND-Zentrale in Berlin. Beobachtungen“ zu beweisen versucht. Pannen und Pleiten würden den BND seit dessen Gründung begleiten. Als im Sommer 2011 bekannt wurde, daß sensible Baupläne von der BND-Großbaustelle verschwunden waren, dürfte Schramm fein vor sich hin gelächelt und eifrig notiert haben. Denn auch nach der unrühmlichen Abwicklung des eigenen Dienstes mag der frühere stellvertretende Leiter der Gegenspionage nicht von der gewohnten Aufklärungsarbeit lassen.

Als „Beobachter“ hat sich der heute 80jährige, der von 1954 bis 1990 in der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Staatssicherheit tätig war, Gedanken über Sinn und Notwendigkeit der Konzentration des BND in Berlin gemacht. Es sei gar nicht einfach, aktuell so ein Buch zu scheiben, resümiert er. Schließlich konnte er nicht wie in der Vergangenheit auf „Quellen“ wie Gabriele Gast zurückgreifen, die bis 1990 als stellvertretende Referatsleiterin in der BND-Zentrale in München-Pullach für die Staatssicherheit spionierte.

Legale und halblegale Quellen sowie das Internet nennt Schramm als Grundlagen für seine Recherchen. Er habe sich bemüht, alle in dem Buch aufgestellten Behauptungen zu beweisen. Dabei greift er tief in die Schmuddelkiste des Kalten Krieges. Breit läßt er sich über die „braunen Wurzeln“ des Bundesnachrichtendienstes aus, der planmäßig „aus dem Kreis ehemaliger FHO-Offiziere (Fremde Heere Ost) und „der faschistischen Abwehr, das heißt SS-, SD- und Gestapo-Leute“ rekrutiert worden sei. Folgerichtig sei auch der Drang nach Osten des BND nach 1989/90.

Schnell wurden 18 neue Residenturen in Osteuropa gegründet. Der Oberst a. D. rechnet sogar mit bis zu einhundert Residenturen weltweit. Gemessen daran sei Deutschland – bei Schramm ist dieses Wort stets durch BRD umschrieben – „eine geheimdienstliche Supermacht“. Und genau dieser Anspruch werde jetzt in der Trutzfestung in Berlin in Beton gegossen: Kein europäischer Geheimdienst, abgesehen von den Russen und ihrer Infrastruktur des früheren KGB, könne auf diese Dimensionen bauen.

Schadenfreude über die   verschwundenen Baupläne

 Interessant wird es, wenn der Autor über die Verstrickungen des BND in den Jugoslawien- und den Irak-Krieg sinniert. Bei ersterem kann er noch auf alte Quellen zurückgreifen: So saß Superspion Rainer Rupp („Topas“) für die Staatssicherheit bis 1993 im Nato-Hauptquartier. Schramm hat auch 1998 veröffentliche Erkenntnisse des französischen Journalisten Roger Faligot ausgegraben, nach dem der deutsche Geheimdienst albanische Terroristen ausgebildet habe.

Über die im Bau befindliche Berliner Geheimdienstzentrale vermag „Beobachter“ Schramm dagegen nur wenige Erkenntnisse zu liefern. Das Lagezentrum sei das Herzstück des neuen Hauptquartiers. Es befinde sich im Mittelteil des zur Zeit im Bau befindlichen, 280 Meter langen und 150 Meter tiefen Gebäudes. Größe und technische Ausstattung würden bisher geheimgehalten, aber das sei alles eine Frage der Zeit. Schramm spielt damit auf die verschwundenen Baupläne an. Diese würden „einen Röntgenblick in die Agentenfestung, Kabelstränge, Elektroversorgung, Betonstärke und -qualitäten, Lage und Versorgung des Rechenzentrums, der Labore usw.“ ermöglichen.

Derart grundlegende handwerkliche Fehler eines Geheimdienstes veranlassen Schramm, auf eine permanente Krise des BND zu schließen und detailliert Affären aufzulisten. Größter Fehler sei natürlich die völlig unterschätzte Arbeit der DDR-Staatssicherheit gewesen. Auf einer der Leserreisen Schramms wird das selbst Ex-Spionin Gabriele Gast zuviel: „Der BND hat gute Arbeit geleistet, sonst hättet ihr ihn ja nicht mit einem so großen Apparat ernst genommen.“

Gotthold Schramm: Die BND-Zentrale in Berlin. Beobachtungen. Edition Ost, Berlin 2012, broschiert, 224 Seiten, Abbildungen, 14,95 Euro

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