© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Lockerungsübungen
Disziplin im Parlament
Karl Heinzen

Laut Artikel 38 des Grundgesetzes sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Tatsächlich gibt es in der Praxis immer wieder Parlamentarier, die aus dieser Bestimmung den Anspruch ableiten, von der Meinung ihrer Fraktion abweichende Positionen vertreten zu dürfen. In der Regel wird dies von der Öffentlichkeit, die dem Treiben der Abgeordneten nur wenig Beachtung schenkt, nicht bemerkt. Anders verhält es sich jedoch, wenn breit und kontrovers diskutierte Themen berührt sind. So erregte es anläßlich der Beschlußfassung zum Euro-Rettungsschirm durchaus Aufsehen, als sich die Parlamentarier Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) nicht nur gegen die Linie ihrer jeweiligen Partei stellten, sondern dies auch noch in Redebeiträgen im Plenum zum Ausdruck brachten.

Eine Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments soll nun derartige Mißbräuche in Zukunft verhindern helfen. Nach den neuen Regeln darf das Wort im Plenum grundsätzlich nur noch den von den Fraktionen nominierten Abgeordneten erteilt werden. Andere dürfen sich allenfalls ausnahmsweise für maximal drei Minuten auf die Rednerliste drängen. „Erklärungen zur Abstimmung“, mit denen Abweichler ihre Motivation bislang bis zu fünf Minuten lang ausbreiten konnten, sollen fortan im Regelfall bloß in schriftlicher Form zugelassen sein.

Der Einwand, daß diese weitere Beschränkung der Abgeordnetenrechte mit unserer Verfassung kaum in Einklang zu bringen ist, mag zwar zutreffend sein. Hierbei handelt es sich aber um ein Manko des Grundgesetzes, das unsere demokratische Realität kaum noch abbildet, da es beispielsweise den Parteien nur periphere Aufgaben zuweist und sich zu den Fraktionen ganz ausschweigt. Abgeordnete, die aus der Disziplin ihrer Parteien ausscheren, sind im übrigen auch nicht im Interesse der Bürger, die sich darauf verlassen wollen, daß die von ihnen gewählte Partei zu ihrer Linie steht und sich nicht bei jeder beliebigen Sachfrage in vielerlei Richtungen aufspaltet. Im Kern geht es aber um die Frage, wem die Abgeordneten ihr Mandat verdanken. Sie mögen zwar von den Bürgern gewählt sein, nominiert wurden sie jedoch von ihren Parteien. Diesen sind sie daher zuallererst zur Loyalität verpflichtet.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen