© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Zeitschriftenkritik: Fluter
Ich mach mir die Welt
Ellen Kositza

Der fluter, viermal jährlich als Printmedium der Bundeszentrale für politische Bildung erscheinend, zehnmal jährlich als Online-Ausgabe, ist gewissermaßen ein Staatsmagazin. Als solches widmet sich das Heft Themen, die jeden zu interessieren haben. Die vorige Ausgabe hatte „Geld“ zum Schwerpunktthema, die nächste wird sich „Bildung“ widmen. Die aktuelle Nummer kümmert sich um „Nazis“.

Wer fällt in diese Schublade? Viele. Zum Beispiel einer, der äußert, Juden seien wunderbar eigentümlich. Derjenige wäre ein verkappter Antisemit, entscheidet Sozialpsychologe Oliver Decker. Aber sei es nicht so, daß man sich kaum kritisch über die israelische Politik äußern dürfe? Decker: „Ich sehe nicht, daß Kritik an Israel nicht geäußert werden darf.“ Decker klagt, daß es „mancherorts“ (wo genau eigentlich?) „Abmachungen zwischen Polizei und Presse“ gebe, über rechtsextreme Gewalt nicht zu berichten. Nein, das Stöhnen mancher Schüler darüber, daß sie die Geschichte des NS nicht mehr hören könnten, teile er nicht: Er habe das anders erfahren („bei mir ging es mehr um die Ottonen“), eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus finde nirgends statt. Deckers Rezept: „Radikale Demokratisierung“, heißt: „die Positionen des Anderen anerkennen, den Anderen als Anderen wahrnehmen und gelten lassen“ und niemals jemanden anprangern.

Außer Leute wie Dennis Giemsch oder Ines Schreiber, deren Lebensumfeld, Werdegang und hinterhältiges Tun als „Multifunktionär“ beziehungsweise Hausfrau einer abseitigen Gesinnungsgemeinschaft auf den weiteren Seiten aufgezeichnet wird. Als Punker angefeindet hingegen werde Angelo im sächsischen Meerane, einem „braunen Nest“. Angelo hockt auf einer ausrangierten Couchgarnitur, piercingübersät, auf dem Kopfe eine Kappe mit „Aufnähern, ganz oben steht ‘Terror’ –, das alles zeigt, wofür er steht: ‘Freiheit eben’“.

Linke haben es hierzulande schwer. Die 66jährige Irmela Mensah-Schramm, die seit 25 Jahren mit Spray und Spachtel symboletilgend durch die Republik reist, kann davon ein Lied singen. Sie hatte schon 363 Ausstellungen, ärgert sich aber, daß „der Staat meine Ausstellung nicht finanziell fördert“. Von einem S-Bahn-Kontrolleur wurde sie wegen ihrer ruhelosen Edding-Arbeit angezeigt, zum Glück folgenlos.

Andere widmen sich den „Nazis“ Aug’ und Aug’. Vorgestellt werden Organisationen, die den verlorenen Söhnen „zurück in die Gesellschaft“ helfen. Behördengänge und Umzüge werden betreut, Geld wird organisiert, damit sich der Aussteiger Tätowierungen entfernen lassen kann, auch ein Zuschuß für Kleidung, falls der Reuige nur „rechte Klamotten“ besitzt. Mit Straftätern arbeitet man deren Weltbild auf: Man legt Fotos von Schwulen und Ausländern auf den Boden. Wenn die Insassen rot anlaufen und lostrampeln wollen, sehe man das als „Zeichen, daß da einer wirklich ein Problem hat“.

Vorn im Heft als Aufwärmer ist ein sommerliches Foto plaziert: „Im Berliner Tiergarten treffen sich deutsche und türkische Familien zum Grillen, Spielen und Reden. Für manche ein Zeichen eines multikulturellen Deutschlands – für andere ein Signal der Überfremdung.“ Im Vordergrund stehen eine dunkelhaarige und eine blonde, sonnenbebrillte, jeansbehoste ältere Dame Arm in Arm, im Hintergrund mehrere dem Augenschein nach monoethnische Sippen zwischen allerlei Müll: So kann’s gehen!

Kontakt: Fluter, Adenauerallee 86, 53113 Bonn  www.bpb.de , www.fluter.de

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