© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Der Umsatz steigt, aber die Kneipen sterben aus
Gaststättengewerbe: Die Zahl der Schankwirtschaften ist innerhalb von zehn Jahren um ein Viertel gesunken / Auch die Brauereien klagen
Michael Martin

Über Generationen gehörte es zum deutschen Alltag: Nach Feierabend machte der Familienvater erstmal einen Zwischenstopp in der Stammkneipe, bevor er zu Frau und Kind heimkehrte. Doch damit scheint es vorbei zu sein. Glaubt man jüngsten Meldungen, dann grassiert in Deutschland das Kneipensterben. Seit 2001 habe jede vierte Schenke geschlossen, wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf das Statistische Bundesamt und eigene Berechnungen berichtet.

Demnach sank die Zahl der Schankwirtschaften bundesweit seit 2001 von fast 48.000 auf 36.000 im Jahr 2010. Besonders stark betroffen waren die Länder Hamburg (minus 48,1 Prozent) und Niedersachsen (minus 41,2 Prozent). Berlin trotzte dem Trend, mit einem Plus von 95,8 Prozent hat sich die Zahl der Kneipen dort fast verdoppelt. Einen Zuwachs verzeichnete auch Baden-Württemberg (plus 15,3 Prozent).

Zu den Ursachen gibt es verschiedene Erklärungsmodelle. Sicher ist: Das Konsumverhalten der Deutschen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. So geht der Bierkonsum seit Jahren kontinuierlich zurück. Dies hat auch gesellschaftliche Gründe. Zum einen wird die deutsche Bevölkerung älter, und ältere Leute trinken nicht mehr soviel und gehen nicht mehr so häufig in Lokale. Doch auch die Jugend scheint nicht mehr so trinkwütig zu sein.

Der gesunde Lebensstil ist seit Jahren ein deutlicher Trend, was auch an der steigenden Vegetarierzahl und den Verlusten von Schnellimbißketten zu erkennen ist. Immer mehr junge Menschen bevorzugen in ihrer Freizeit ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk. Denn während der Bierkonsum sinkt und sinkt, feiern die Limonadenhersteller beachtliche Erfolge. Der Verkauf von alkoholfreien Getränken, vor allem von Saftschorlen, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, und die Tendenz bleibt weiterhin ungebrochen.

Dieser Trend scheint so mächtig zu sein, daß sogar große Biermarken alkoholfreie Getränke in ihr Sortiment aufnehmen. So holte sich der Biergigant Radeberger die Bionade mit ins Boot, und Krombacher angelte sich Schweppes. Auch am Arbeitsplatz wird dies sichtbar. Gehörte früher ein Bierchen zum guten Ton in der Mittagspause, sind die meisten Kantinen mittlerweile auf ein rein alkoholfreies Sortiment umgeschwenkt. In vielen Betrieben herrscht sogar ein striktes Alkoholverbot.

Zudem hat die Absenkung der Promillegrenze gepaart mit drastischen Strafen für Alkoholsünder einen Abschreckungseffekt ausgelöst. „Für ein oder zwei Bier gehe ich doch nicht in die Kneipe. Und das Auto nach drei Bier stehenlassen, darauf habe ich keine Lust“, hört man immer wieder. Doch das Kneipensterben hat auch andere Gründe. Branchenvertreter führen die Rückgänge unter anderem auf die starke Konkurrenz durch Vereine zurück. Es gebe eine „Wettbewerbsverzerrung“, weil in vielen Vereinsheimen inzwischen ein beinahe professioneller Barbetrieb herrsche, kritisierte die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands, Ingrid Hartges. Dies geschehe unversteuert und ohne behördliche Auflagen.

Wissenschaftler warnen vor den gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung. „Mit dem Wirtshaus verschwindet eine Einrichtung mit hohem sozialen und kulturellen Stellenwert aus den Gemeinden“, so Florian Kohnle vom Lehrstuhl für Kulturgeographie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In rund 500 von 2.200 bayerischen Gemeinden gebe es mittlerweile überhaupt keine Gaststätte mehr. Die Ursachen seien vielfältig: „Bevölkerungsrückgang auf dem Land, Mobilitätszuwachs, Veränderungen von Arbeitswelt und Freizeitverhalten und die Konkurrenz durch Vereinsheime“, sagte Kohnle dem Stern.

Gerne verschwiegen wird auch die Tatsache, daß seit der Euro-Einführung die Getränkepreise in Gaststätten drastisch gestiegen sind. Nicht selten kostet ein Bier in Großstädten drei Euro im Ausschank – für Schüler und Studenten utopische Preise. Das dürfte übrigens auch der Hauptgrund für den vierprozentigen Umsatzzuwachs des Gastgewerbes im vergangenen Jahr sein.

Hinzu kommt, daß die traditionelle Kneipe viel von ihrem sozialen Faktor verloren hat. „Statt sich in der Kneipe zu verabreden und zu treffen, findet das klassische Thekengespräch heute auf Face­book statt“, glaubt der Freizeitforscher Horst Opaschowski. Die Kneipe habe als zweites Wohnzimmer ausgedient: „Nur noch alte Herren wie mich findet man dort mehr oder weniger einsam bei einem Getränk.“

Der Gastronomieverband Dehoga sieht im Rauchverbot ebenfalls einen existenzvernichtenden „Brandbeschleuniger“. Im Saarland, wo das bundesweit schärfste Nichtraucherschutzgesetz gilt, schlägt man jedenfalls Alarm: „Mindestens 25 Prozent der Besitzer kleiner Eckkneipen im Saarland mußten bereits ihr Lokal schließen“, klagte Saar-Dehoga-Präsidentin Gudrun Pink kürzlich der Saarbrücker Zeitung. Und Werner Wolf, Chef der Bitburger-Brauerei, stöhnt: „Für die Kneipen könnte das der Todesstoß sein.“

Foto: Lokale im Ausverkauf: Die 1976 von Peter Alexander besungene „Kleine Kneipe in unserer Straße“ gibt es vielerorts immer weniger

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen