© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Lukrative Terrorgeschäfte
Al-Qaida: Nach der Ausschaltung Bin Ladens zeigt sich das Terrornetzwerk runderneuert und agiler denn je
Marc Zöllner

Noch immer gilt der deutsche Bauingenieur Edgar Fritz Raupach als vermißt. Im Januar im Norden Nigerias von Extremisten der Al-Qaida-Organisation verschleppt, meldeten sich nun jedoch seine Entführer zu Wort. Ihre Forderung: die sofortige Freilassung einer Angehörigen der sogenannten „Sauerland-Gruppe“. Parallel dazu toben seit Wochen schwere Gefechte zwischen Kämpfern der „al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AQAP) und der Armee im Südjemen.

Unzweifelhaft beweist das Terrornetzwerk al-Qaida, daß es längst der pakistanischen Bergguerilla entwachsen ist. Es präsentiert sich als global strukturiertes und agierendes Netzwerk.

Gerade die Liquidierung Osama bin Ladens durch US-Truppen im letzten Mai konnte sich hierbei nicht günstiger für die künftige Ausrichtung der Extremistenorganisation auswirken. War doch Bin Laden in den letzten Jahren für al-Qaida lediglich noch als Fußfessel des freien Handelns zu bezeichnen. Zu sehr war man von seinem Vermögen und seinem Wohlwollen abhängig, zu intensiv bestimmten seine persönlichen, geradezu manischen Rachsüchte –  das christlich-jüdische Abendland, die häretischen Schiiten sowie der Große Satan USA – die Präsenz al-Qaidas im internationalen Terrorgeschäft.

Gewiß erwiesen sich seine intensiven Kontakte zur indonesischen Jemaah Islamiyah, zu religiösen Führungspersönlichkeiten im Irak, in Tschetschenien sowie in Saudi-Arabien mitunter als recht nützlich, um neue Aktivisten und Geldquellen anzuwerben. Das Gedankengut der in den 1990er Jahren mühsam aufgebauten Altherren-Riege rund um den schwer kranken Bin Laden galt unter dessen jüngeren Anhängern jedoch bald schon als antiquiert.

Innerhalb des Al-Qaida-Führungskreises war man den USA sogar dankbar, denn mit der Tötung Bin Ladens schufen sie nicht nur einen, den weltweit agierenden Dschihadisten vorzeigbaren Märtyrer, sie setzten damit ebenso immense Ressourcen an Mensch und Kapital frei, die vormals an dessen Person gebunden waren. Ressourcen, welche sein Nachfolger Aiman az-Zawahiri exzellent zu nutzen verstand.

Das Kerngeschäft al-Qaidas noch zu bin Ladens Lebzeiten aufbrechend, war az-Zawahiri maßgeblich daran beteiligt, der Terrororganisation eine neue Netzwerk-Strategie zu entwickeln. Drei Säulen kommen hierbei zum Tragen: die Erschließung neuer Einnahmequellen, um von der alten Garde Saudi-Arabiens unabhängig zu werden, die Modernisierung der eigenen Medien, um al-Qaida einen „Public-Relation“-Schub – Beispiel: das moderne Frauenmagazin al-Shamikha  – zu geben, sowie der Erwerb eigener Territorien als sichere Zufluchtsorte für die Führungsriege und ihre Kombattanten.

Als „Franchising“ deklariert auch der US-Nachrichtendienst Stratfor die Taktik az-Zawahiris, als Vergabe von Namenslizenzen für Gefälligkeiten. Von Mauretanien bis Indonesien gründeten sich bislang fünf Tochtergesellschaften unter der „Marke“ al-Qaida, allesamt mit eigenem, für das Mutterunternehmen höchst lukrative Kerngeschäft. Durch die wohl bekannteste unter ihnen, „al-Qaida des Islamischen Maghreb“ (AQIM), profitierte bereits Bin Laden an Entführungen westlicher Touristen sowie am Drogen- und Menschenschmuggel entlang der von Nigeria bis Algerien führenden Marlboro-Road.

Ausgestattet mit erbeuteten Waffen aus dem Arsenal Muammar al-Gaddafis sowie die Wirren der anhaltenden Tuareg-Rebellion im Mali ausnutzend, gelang es der AQIM, ein Gebiet der Größe der Iberischen Halbinsel für ihre Aktivitäten zu beanspruchen. Mit der Ausrufung des „Unabhängigen Staates Azawad“ im Norden Malis Anfang April dieses Jahres vermochten es die Tuareg zusammen mit der AQIM-Unterorganisation Ansar Dine überdies, erstmals in ihrer Geschichte ein eigenes, jedoch völkerrechtlich noch nicht anerkanntes Hoheitsgebiet zu markieren.

 Auch die desolate Lage des Jemen, der nach dem Sturz Ali Abdullah Salih zu einem „failed state“, einem gescheiterten Staat, zu kollabieren droht, eignet sich für az-Zawahiri hervorragend, um seine neue Macht zu demonstrieren.

Was im Jemen interessiert, ist nicht nur der profitable Anbau und Verkauf von Kathblättern, einer weichen Alltagsdroge mit hohem Suchtpotential, sondern ebenfalls die Kontrolle der Handelswege nach Somalia, wo sich die radikalislamischen Al-Shabaab-Milizen einen blutigen Krieg mit Kenia und Äthiopien liefern. Az-Zawahiris Dank für die Teilhabe an Piraterie und Landnutzung erfolgte mit der Ernennung des Emirs der Al-Shabaab, Ahmed Abdi Godane, zum Führer der neu gegründeten „al-Qaida in Ostafrika“ (AQEA) im Februar dieses Jahres. Dieser wiederum revanchierte sich mit der Entsendung hunderter somalischer Söldner, welche seit April in die mittlerweile erneut über 200 Tote fordernden schweren Kämpfe um Abidschan/Elfenbeinküste verwickelt sind.

 Mit Syrien ist bereits ein neues Ziel  im Fadenkreuz al-Qaidas aufgetaucht. Hunderte Freiwillige aus dem Irak, aus Libyen und dem Maghreb sollen bereits das Land infiltriert haben – ausgestattet mit dem Blutgeld der dort ansässigen Tochtergesellschaften, ausgerüstet mit schweren Waffen aus den Arsenalen der durch den Arabischen Frühling gestürzten Diktatoren.

Foto: Fehlgeschlagener Al-Qaida Terror in Aden/Jemen: Ungläubig betrachten Passanten ein zerstörtes Motorrad, dessen Fahrer sein Ziel nicht erreichte

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