© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Paßt nicht zum „Mainstream“
Interview: Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, zum Thema Frontalunterricht
Christian Vollradt

Eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Victor Lavy (siehe Kasten) kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, daß Schüler durch den „klassischen“ Frontalunterricht bessere Erfolge erzielen als durch das „freie“ Lernen in Gruppenarbeit. Teilen Sie aus Ihrer Erfahrung als Lehrer und Schulleiter diese Einschätzung?

Kraus: Absolut! Lavy bestätigt, was ehrliche und selbstkritische Lehrer seit Jahrzehnten wissen, nämlich daß sich ein effektiver Unterricht durch folgende Merkmale auszeichnet: Der Lehrer stellt hohe Anforderungen und geschickte Erschließungsfragen, er hält einen straff organisierten Unterricht, er aktiviert möglichst viele Schüler, und er sorgt dafür, daß es keine Ablenkungen gibt. Professor Franz Weinert, ehemals Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung, schrieb dazu wiederholt: „Zum Entsetzen vieler Reformpädagogen erwies sich eine Lehrform als überdurchschnittlich effektiv, die als ‘direkte Instruktion’ bezeichnet wird. Direkte Instruktion verbessert die Leistungen aller Schüler, erhöht deren Selbstvertrauen in die eigene Tüchtigkeit und reduziert ihre Leistungsängstlichkeit.“

Frontalunterricht gilt ja allgemein als unmodern und überholt. Wie ist die Studie denn unter deutschen Pädagogen aufgenommen worden?

Kraus: Ärgerlicherweise ist der Begriff „Frontalunterricht“ zu einer Kampfvokabel von Leuten geworden, die den leistungs- und wissensbezogenen Unterricht diskreditieren und durch eine Gefälligkeits- und Wohlfühlpädagogik ersetzen wollen. Die Lavy-Studie hat man in Deutschland allerdings kaum rezipiert. Presse und Fachliteratur haben sich dazu ausgeschwiegen, vermutlich weil diese Studie ebenso wie eine aktuelle neuseeländische Studie mit dem gleichen Ergebnis nicht zum pädagogischen Mainstream paßt. Dort wo die Lavy-Studie in den Schulen bekannt wurde, gab es unter den meisten Pädagogen ein Aufatmen, aber zugleich die Sorge, daß sich die Oberen in Politik und sogenannten Erziehungswissenschaften davon nicht beeindrucken lassen.

Welche Schlußfolgerungen hinsichtlich der Unterrichtspraxis sollten Ihrer Meinung nach aus den Ergebnissen gezogen werden?

Kraus: Es muß Schluß sein mit der Verteufelung eines straff von den Lehrern gesteuerten Unterrichts. Der Unterricht darf nicht zum entspannten Event und der Lehrer darf nicht zum Fremdkörper im Unterricht werden. Schüler brauchen einen strukturierten und ergebnisorientierten, nicht nur erlebnisorientierten Unterricht. Übrigens: Gerade leistungsschwächere und jüngere Kinder profitieren von einem klar strukturierten Unterricht. Gerhard Roth, einer der führenden deutschen Hirnforscher, bestätigt dies eindrucksvoll. Laut Roth sei eine „demokratische“ Schule des „selbstbestimmten“ Lernens nur für eine sehr kleine Gruppe hochbegabter Schüler sinnvoll, aber nicht für die Mehrzahl der Schüler. Über den in gewissen Kreisen polemisch diskreditierten „Frontalunterricht“ schreibt Roth: „Der Frontalunterricht eines kompetenten, einfühlsamen und begeisternden Lehrers ist allemal wirksamer als eine wenig strukturierte Gruppenarbeit und ein nicht überwachtes Einzellernen.“

 

Josef Kraus ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Jüngst erschien sein Buch: „Bildung geht nur mit Anstrengung – Wie wir wieder eine Bildungsnation werden können“ (Classicus Verlag Hamburg, 2011)  www.lehrerverband.de

 

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