© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Mahatma Gandhi wohnt in Hiroshima
Geschichtspolitik: In Hamburgs Vorzeigestadtteil Hafencity ist ein bizarrer Streit um neue Straßennamen entbrannt
Sverre Schacht

In Hamburgs architektonischem Aushängeschild, der im Entstehen begriffenen Hafencity, ist ein bizarrer Streit teils kleinster Interessengruppen um neue Straßennamen entbrannt: Jenseits der erhaltenen Namenssubstanz wird darüber gestritten, ob künftig eine  Frauenquote, Internationalismus oder Regionalbezüge das Quartier prägen sollen.

Ob Paul von Hindenburg oder Paul von Lettow-Vorbeck: Der Streit um die Bewertung von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte entzündet sich oft an der Frage, ob sie Namensgeber für Straßen und Plätze sein können. Drängen in westdeutschen Gemeinden einzelne Aktivisten und jüngst vermehrt feministische Kritikerinnen aufgebracht über vermeintlich Rückständiges oder allzusehr von männlichen Namen beherrschte öffentliche Orte an die Medien, so dominiert in den östlichen Bundesländern teilweise noch sozialistische Einförmigkeit. Diese Eintönigkeit, „mit der sich in vielen Brandenburger Städten und Gemeinden die Luxemburg-, Liebknecht- und Bebel-Straßen aneinanderreihen“, kritisierte im vergangenen Jahr exemplarisch  Brandenburgs CDU-Vorsitzende Saskia Ludwig. Die Fraktion der Linkspartei empfand aus derartiger Kritik abgeleitete Umbenennungswünsche als Affront. Rosa Luxemburg etwa, ermordet im Januar 1919, qualifiziere sich allein schon als „Antifaschistin“ als Namensgeberin.

Ähnlich bizarr muten manche Argumente an, mit denen jetzt in Hamburgs Hafencity um Namenspatrone gekämpft wird. In der vom Hafengebiet zum edlen Innenstadtquartier umgebauten Gegend treffen Befürworter vermeintlich weltmännischer Namen wie „Mahatma-Gandhi-Straße“ auf die Verfechter der Frauenquote und beide gemeinsam auf die Anwohner. Letztere haben Zweifel, ob sie wirklich an einem derart negativ besetzten Ort wie der „Hiroshima-Straße“ leben wollen. Der Streit entbrennt an einem Ort mit zukunftsweisender Architektur und somit dem idealen Schlachtfeld symbolpolitischer Feldzüge. „Lettow-Vorbeck wird recycelt“ jubelte im vergangenen Sommer die taz. Tatsächlich interessierte vor Ort kaum jemand, wie die Straßen auf dem nach diesem General benannten einstigen Kasernengelände künftig heißen – es liegt im Osten der Stadt, weitab vom Zentrum. Den „Askariweg“ zur Erinnerung an deutsche Kolonialkämpfer aus der Zeit des Kaiserreiches, so ein Vorschlag, verhinderten dennoch frühzeitig Proteste linker Gruppen.

Für Gandhi als Namensgeber hingegen unterschrieben fast 10.000 Hamburger. Zum Zeitpunkt dieser Unterschriftenaktion stand indes eine konkrete Benennung in den Sternen. Jetzt soll eine Klappbrücke in der Hafencity nach Gandhi benannt werden. Die Anwohner lehnen das ab. Ihnen ist Gandhi zu politisch, sie wünschen sich Seefahrernamen wie Magellan, Marco Polo und Vasco da Gama und damit endlich einen Bezug zur Hafennähe. Beim Vorsitzenden des internationalen Mahatma Gandhi Memorial Committee, Dipanker Sinha-Roy, löst das Unverständnis aus: „Die Hafencity ist kein Dorf, sondern ein prominenter, internationaler Ort in Hamburg. Mahatma Gandhi gehört zur Hafencity, er gehört zur Welt.“ Es sei „interessant zu sehen, wie eine langjährige Initiative von einer deutlich kleineren, dafür aber lautstark protestierenden Gruppe von rund 100 Teilnehmern beinahe unterminiert werden kann“, wertet der „German-Indian Round Table Hamburg“ den Anwohnerprotest.

Die grüne Frauenpolitikerin und Historikerin Rita Bake, die in der Hansestadt den „Garten der Frauen“ einrichtete, geht einen Schritt weiter: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Es müssen mehr Straßen in Hamburg nach Frauen benannt werden“, sagt Bake, die „Frauenstudien“ lehrt. Die Hafencity sei für eine Frauenquote ideal. Statt der offiziell geplanten „Hiroshima-Straße“ will sie die Reederin Lucy Borchard (1877 – 1969) auf dem Straßenschild sehen. Eine Anwohnerinitiative unterstützt sie dabei und bringt zudem Künstlerinnen ins Gespräch. Ob die Hafencity aber eine Art Viertel der Frauen wird, ist keinesfalls abgemacht, denn Bezirke und Behörden berufen sich darauf, ihre Vorschläge wie „Hiroshima“ seien ebenfalls Ergebnis eines gemeinsamen Findungsprozesses.

Die „Senatskommission für die Benennung von Verkehrsflächen“ entscheidet schließlich. Sie sieht sich nun dem neuen Bündnis aus Frauenquotierern und Lokalpatrioten gegenüber. In dem architektonisch, von Ausnahmebauten abgesehen, recht einheitlich rot geklinkerten Areal wird es womöglich zu einem wilden Namensnebeneinander kommen. Für das Setzen von Zeichen eignen sich die schmalen blauen Kunststoffschilder an den Straßenecken aber kaum. Die großen symbolischen Namensschlachten sind Vergangenheit. Das Hamburger Lettow-Vorbeck-Denkmal verschwand in den siebziger Jahren im Zuge der Studentenbewegung. Statt Namen als Denkanstöße einzusetzen oder zu erhalten, verkommt die Erinnerungskultur seither zu einer Schlacht ums Vordenken: Männer sind nicht mehr gefragt, Generale ohnehin nicht und Erinnerungen an die Kolonialgeschichte gehen nicht einmal als „Tansaniaweg“ durch. Was bleibt, ist eine Topographie der Beliebigkeit, geformt von Interessengruppen.

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