© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Möllemann abgekupfert
FDP: Christian Lindner läßt sich in Nordrhein-Westfalen als Hoffnungsträger für die gesamte Partei feiern
Ronald Gläser

Der Andrang war gewaltig. Bei der Wahlkampfauftaktveranstaltung der FDP in Nordrhein-Westfalen drängelten sich Hunderte Liberale auf dem Bonner Marktplatz. Spitzenkandidat Christian Lindner fliegen die Herzen zu. Er hat sowohl die Unterstützung von alten Herren wie Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel, die in einem Aufruf am Wochenende erklärt hatten: „Christian Lindner hat kraft seiner Persönlichkeit die politische Landschaft verändert.“ Auch die liberale Parteibasis weiß er hinter sich. Diese setzt alle Hoffnungen in den 33jährigen.  Und Lindner gibt ihr, was sie hören will: Die FDP müsse der „Anwalt der Leistungsorientierten“ sein, eine „starke Stimme für die Freiheit“. „Zweitstimme ist Lindner-Stimme“, heißt es im ganz auf den Spitzenkandidaten zugeschnittenen Werbevideo.

Wer aufmerksam die Medien verfolgt, der muß vermuten, Lindner sei eine Art politisches Wunderkind, ein Nachwuchstalent, dem alles zuzutrauen sei und der in jedem Fall vom Wahlausgang profitieren wird – ob er nun gewinnt oder nicht. „Christian Lindner wäre der bessere FDP-Chef“, schrieb das Handelsblatt kürzlich. Neuen Schwung habe der junge Mann der Partei, die sich an diesem Wochenende zu ihrem Bundesparteitag in Karlsruhe trifft, mit seinem Blitzcomeback verliehen. Die Umfrageergebnisse von drei Prozent in NRW sprechen eine andere Sprache. Und es gibt auch kritische Stimmen. André F. Lichtschlag, Chefredakteur der radikalliberalen Zeitschrift Eigentümlich frei, beispielsweise fragt mit Blick auf die ausgebliebenen Wahlversprechen in der Steuerpolitik: „Christian Lindner, einst Generalsekretär und zweiter Mann im Tandem von Guido Westerwelle, nun NRW-Spitzenkandidat, hat sich für die Unverschämtheiten seinen Wählern gegenüber bis heute nicht einmal entschuldigt. Warum sollte man gerade ihm wieder vertrauen?“ Der Blogger Frank Martin warnt auf der Netzseite Antibuerokratieteam.net: Lindners „offensichtliche Liaison mit den staatstragenden Medien, die in den alltäglichen Lindner-Jubelarien zu erkennen ist, macht ihn nicht vertrauenswürdiger“.

So wie die Partei ihre Hoffnungen in Lindner investiert, so gibt es auch Restzweifel. Diese haben mit Lindner selbst zu tun. Viel zu oft hat er sich als Sowohl-als-auch-Kandidat, als aalglatt erwiesen. Erst hat er die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers ausgehandelt, dann nachträglich kritisiert, so als habe jemand anders das über seinen Kopf hinweg entschieden. Und da ist die Sache mit seinem Unternehmen: Mit Anfang zwanzig gründete Lindner 2000 ein Startup, das Avatare, also virtuelle Computercharaktere, herstellte. Die Firma hatte ein Startkapital von 30.000 Euro und erhielt einen Förderkredit in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Geld, das verloren war, als das Unternehmen ein Jahr später in die Insolvenz ging. Auch Lindners weitere geschäftliche Aktivitäten waren nicht von Erfolg gekrönt. Den hatte Lindner nur in der Partei. Mit 16 Jahren wurde er FDP-Mitglied. Jürgen W. Möllemann hielt große Stücke auf ihn und half seiner Karriere auf die Sprünge. Mit 21 wurde Lindner jüngster Landtagsabgeordneter.

Alles, was Lindner jetzt macht, ist bei Möllemann abgekupfert: die zur Schau getragene Nähe zur SPD, die Abgrenzung von der Bundespartei und selbst die Wahlkampfslogans. Setzte die FDP damals schon auf das Thema Erhalt des Gymnasiums und „NRW braucht Tempo“, so heißt es jetzt: „Schulen besser machen und nicht gleicher“ und „Besser viel bewegen als im Stau ersticken“.

Lindners Problem: Die Glaubwürdigkeit der Liberalen an Rhein und Ruhr hat seit 2000 gelitten. In dem von Lindner als Generalsekretär der NRW-FDP mit ausgehandelten Koalitionsvertrag wurde festgehalten, die Staatsausgaben seien zu begrenzen. Das war 2005, und danach sanken die Staatsausgaben auch tatsächlich einmal, nämlich im Haushalt 2006. Doch der gute Vorsatz war schnell vergessen, und so steigerte auch die schwarz-gelbe Landesregierung konsequent die Ausgaben. Und natürlich wurden stets neue Schulden angehäuft. Lindners Ankündigung aus dem Jahr 2005, auf mittlere Sicht solle die Staatsquote deutlich unter die 40-ProzentMarke fallen, hat sich als Luftnummer herausgestellt.

Ein halbes Jahr bevor die Landesregierung von Jürgen Rüttgers im Mai 2010 abgewählt wurde, errang Christian Lindner ein Bundestagsmandat. Er wurde Nachfolger des ins Kabinett wechselnden Dirk Niebel. Als neuer Generalsekretär mußte Lindner eine Wahlniederlage nach der anderen erklären. 2011 kam der parteiinterne Streit um den ESM dazu, bei dem Lindner keine gute Figur abgab. Es war seine Aufgabe, den Mitgliederentscheid durchzuführen. Die ESM-Gegner sahen sich benachteiligt, weil die Unterlagen für die Abstimmung nicht gerade „kundenfreundlich“ verschickt worden sind. Entnervt gab Lindner seinen Posten auf, noch bevor im Dezember das Ergebnis bekanntgegeben wurde. Ein Vorstandsmitglied der Liberalen berichtet, Lindner habe nach seinem merkwürdigen Abgang „an etliche Türen geklopft“, auf der Suche nach einem neuen Job. „Der war richtig fertig, wußte nicht, was er jetzt machen soll.“

Die Neuwahl in NRW kam Lindner sehr gelegen. Daß die FDP eher versehentlich in diese Neuwahl gestolpert ist, unterschlagen die liberalen Parteistrategen nun lieber. Eigentlich dachte die Partei, sie könne den Landeshaushalt erst ablehnen und am Ende noch zustimmen. Dabei wurde sie von der rot-grünen Minderheitsregierung, die angesichts  hervorragender Umfrageergebnisse auf Neuwahlen aus war, übertölpelt.

Ausgerechnet diese SPD umschmeicheln führende NRW-Liberale nun auch noch. Lindner sagte im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er habe in „industriepolitischen Fragen“ mehr Gemeinsamkeiten zwischen SPD und FDP als mit der CDU ausgemacht. Auch dieser jüngste Kurswechsel dürfte nicht eben dazu beitragen, das Profil der Liberalen zu schärfen.

Foto: FDP-Chef Philipp Rösler und Christian Lindner: Distanzierung von der Bundespartei gehört dazu

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