© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Vive la Einfallslosigkeit!
Frankreich: Der Präsidentschaftswahlkampf blendet die wirklichen Probleme aus
Alain de Benoist

Einen derart langweiligen Präsidentschaftswahlkampf hat Frankreich selten erlebt. Die großen Probleme spielten darin kaum eine Rolle, die Euro-Krise ebensowenig wie die Staatsschulden.  Nachdem man noch vor wenigen Monaten  allgemein auf „Überraschungen“ hoffte, scheinen zudem die Ergebnisse schon im voraus festzustehen. Dem Amtsinhaber Nicolas Sarkozy werden zwar durchaus Chancen eingeräumt, siegreich aus der ersten Wahlrunde hervorzugehen – nach der zweiten dürfte der Sieger jedoch François Hollande heißen. Dafür spricht nicht zuletzt, daß derzeitigen Umfrageergebnissen zufolge auf der linken Seite des politischen Spektrums eine höhere Wahlbeteiligung zu erwarten ist.

Insofern stellt sich eigentlich nur noch die Frage, wer nach der ersten  Wahlrunde an dritter Stelle liegt: Jean-Luc Mélenchon oder Marine Le Pen? Nach allgemeiner Auffassung war Mélenchon als Kandidat des Front de gauche der wahre Star dieses Wahlkampfs. Mit seinen radikalen Positionen und insbesondere seiner Begabung als Redner gelang es ihm, seine Zustimmungsrate unter den Wählern im Zuge des Wahlkampfs von fünf auf fünfzehn Prozent zu verdreifachen. Der Front de gauche umfaßt die Kommunistische Partei, die es 2007 gerade einmal auf 1,9 Prozent der Stimmen brachte, nicht aber die trotzkistischen Kleinparteien, die eigene Kandidaten aufgestellt haben, oder die Grünen, deren Kandidatin Eva Joly allenfalls mit zwei bis drei Prozent der Stimmen rechnen kann.

Ganz anders verhält es sich mit Marine Le Pen. Sie begann ihren Wahlkampf sehr früh, zu einem Zeitpunkt, als Sarkozys Beliebtheit einen Tiefststand erreicht hatte, und konnte damals Werte um die zwanzig Prozent erzielen. Die Tochter des Front-National-Gründers kann sich berechtigte Hoffnungen machen, in die zweite Wahlrunde einzuziehen. Ihre Rechnung war simpel: Ihr ging es darum, im Zweikampf mit Hollande möglichst viele Stimmen auf sich zu vereinigen, um nach der Wahl endgültig als die wahre Vertreterin des rechten, konservativen und bürgerlichen Spektrums dazustehen. Marine Le Pen setzt somit auf eine – keineswegs unwahrscheinliche – Auflösung von Sarkozys UMP, hat dieser doch bereits zu verstehen gegeben, daß er sich im Falle einer Niederlage aus der Politik zurückziehen wird.

Marine Le Pen konzentrierte sich in ihrer Wahlkampfrhetorik auf drei Punkte: Zum einen schwang sie – ganz in der Tradition des Front National – aggressive Reden gegen die Einwanderung und die „Islamisierung“ Frankreichs. Flankiert wurden diese einerseits von dezidiert „jakobinischen“ Äußerungen (gegen Kommunitarismus und Regionalismus), andererseits von Tönen, die man aus dieser Richtung erstmalig vernimmt: einer radikalen Kritik an Wirtschaftsliberalismus, Kapitalismus und  Profitstreben. Ihr Ziel war, sich als Stimme des „gesamten Volkes“, ja als Kandidatin eines Aufstands der Massen zu präsentieren in einem Staat, in dem mittlerweile offiziell fünf Millionen Arbeitslose und acht Millionen Arme leben.

Restlos ist diese Strategie nicht aufgegangen.  Marine Le Pen stand effektiv zwei konkurrierenden Wahlkampfmaschinerien gegenüber. Auf der einen Seite Sarkozy: Der Präsident, der im politischen Alltagsgeschäft immer wieder aufs neue enttäuscht, ist im Wahlkampf plötzlich wieder ganz in seinem Element. So konnte er sich Schritt für Schritt am eigenen Zopf aus dem Umfragetief seiner Partei  hochziehen – zum Schaden nicht nur von Hollande, der einigen Boden an den aggressiver und überzeugender wirkenden Mélenchon verlor, sondern auch des Front National.

Sarkozy hat in den vergangenen Wochen eine ähnliche Rechtswende vollzogen, wie sie ihm bereits 2007 zum Erfolg verhalf – mit dem Ziel, dem Front National erneut Wähler abzuwerben. Dank der islamistischen Morde von Toulouse und Montauban konnte er eine kompromißlose Haltung an den Tag legen, die bei den Wählern gut ankam. Marine Le Pen hatte folglich keine andere Wahl mehr, als ihn darin noch überbieten zu wollen.  Sie ließ die sozialpolitischen Themen links liegen und konzentrierte sich von nun an auf Verbalattacken in Fragen der Einwanderungspolitik und des diesbezüglichen Glaubwürdigkeitsdefizits des amtierenden Präsidenten. Auch der Aufstieg Jean-Luc Mélenchons wirkte sich zu Le Pens Ungunsten aus. Seine überaus brutalen Anwürfe gegen sie dienten dem strategischen Ziel, ihr die Stimmen der  Wähler aus der Arbeiterklasse streitig zu machen, die für den Front National seit jeher von großer Bedeutung waren.

Genaugenommen hat Marine Le Pen zwei unterschiedliche Wählerschaften: zum einen die klassischen Rechts-Bürgerlichen, die durchaus für Sarkozys Abwerbungsversuche anfällig sind und ihm – wie schon 2007 – in der zweiten Wahlrunde auf jeden Fall ihre Stimmen geben werden. Zweitens die eher „links“ gesinnten Wähler aus der Arbeiter- und Unterschicht, die in der zweiten Runde im Zweifelsfall entweder für Hollande stimmen oder sich ganz enthalten werden. Le Pens große Stärke liegt hingegen in ihrer Beliebtheit bei Jung- und Erstwählern. Viel wird davon abhängen, inwieweit es den Kandidaten überhaupt gelingt, Wähler zu mobilisieren. Momentan deutet sich an, daß die Wahlbeteiligung erstmals bei einer Präsidentschaftswahl unter die 70-Prozent-Marke fallen könnte.

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