© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Richtungsstreit bei der Deutschen Burschenschaft
Ein Verband zerstört sich selbst
Dieter Stein

Bei der Deutschen Burschenschaft (DB) tobt ein erbitterter Streit, der zur Implosion dieses traditionsreichen Verbandes führen könnte. Die DB ist Dachverband von noch 120 örtlichen Burschenschaften (Studentenverbindungen) Österreichs und der Bundesrepublik Deutschland, in denen männliche Studenten gemeinsam studieren, fechten und ein Leben lang in Verbindung bleiben. Auslöser der Auseinandersetzung sind Äußerungen des derzeitigen Chefredakteurs der Burschenschaftlichen Blätter zum deutschen Widerstand (siehe ausführlicher Bericht auf Seite 4).

 Wen interessiert der inzwischen öffentlich geführte Streit eines von vielen Korporationsverbänden, die in ihrer Gänze nicht mehr die gesellschaftliche Bedeutung haben, die sie im Kaiserreich und noch im Nachkriegs-Westdeutschland hatten? Stünde dieser Streit nicht pars pro toto für einen freiheitlich-patriotischen Politikansatz insgesamt.

Man muß sich dazu noch einmal die historische Bedeutung der Burschenschaften ins Gedächtnis rufen: Sie standen an der Wiege der deutschen Demokratie- und Nationalbewegung. Im kommenden Jahr gilt es des 200. Jahrestages der Befreiungskriege zu gedenken. 1813 wurde von den vereinigten Truppen der deutschen Lande unter Führung Preußens die napoleonische Besatzung davongejagt. Die schwarz-rot-goldenen Uniformen des Lützowschen Freikorps, in dessen Reihen der patriotische Dichter Theodor Körner fiel, gaben dem Banner der aufbrechenden politischen Emanzipationsbewegung der Burschenschaften 1815 ihre Farben.

Die Burschenschaft bildete mit dem Wartburgfest 1817 und beim Hambacher Fest 1832 die demokratisch-republikanische Avantgarde und wurde dafür von der Obrigkeit schwer verfolgt. Es ist eine Tragödie, daß die DB in Gänze heute nicht in der Lage ist, hier überzeugend anzuknüpfen. Gerade in der aktuellen Euro-Rettungspolitik mit dem Versuch, über den ESM und eine Fiskalunion den demokratischen Nationalstaat und elementare Freiheitsrechte abzuschaffen, schlägt eigentlich die Stunde der Burschenschaft, ihrem alten Selbstverständnis gemäß an die Spitze des bürgerlichen Protestes zu treten und gesellschaftlich ernst genommen zu werden.

Stattdessen flüchtet ein wachsender Teil in die Entpolitisierung – sei es der Beliebigkeit, sei es in ein weltfremdes, rechts-reaktionäres Sektierertum, wie es beim grotesken Streit um die Bedeutung des deutschen Widerstandes zum Ausdruck kommt, zu dem eine namhafte Zahl von Burschenschaftern zählte und worauf die DB eigentlich stolz sein könnte! Es ist dieser leuchtende Traditionsstrang eines Widerstandes, der von 1813 über 1817, 1832, 1848 über 1944 und 1953 bis 1989 führt und an den mit Selbstbewußtsein angeknüpft werden könnte – wenn man seine Sinne beisammen hätte!

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