© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Umwelt
Stuttgarter „Bäume 21“
Volker Kempf

Von der Flucht aus den grauen Städten hinaus auf das grüne Land ist oft die Rede; sie gilt als der Inbegriff der Jugendbewegtheit. Längst aber geht es auch darum, die Natur in die Städte hineinzuholen. Hase und Igel sagen sich auch in Metropolen gute Nacht. Grünanlagen bieten Nistmöglichkeiten für Vögel und Stadtmenschen einen naturnahen Erholungsraum. Aber auch hier gilt: Man kann alles übertreiben. Zur Besänftigung von Gegnern des Bahnhofsprojekts „Stuttgart 21“ werden Bäume verpflanzt. Das klingt auf den ersten Blick gut. Warum sollte man neue Bäume pflanzen, wenn man alte hat und diese nur umzusetzen braucht? Aber die betreffenden Buchen, Eichen oder Linden haben ihre besten Jahre hinter sich. Hier gilt dann das Sprichwort: Alte Bäume soll man nicht verpflanzen.

Denn dabei muß man die Wurzeln in einem Ausmaß beschneiden, das sie kaum verkraften werden. Speziell bei Platanen werden für eine Verpflanzung 80 Prozent des Wurzelwerks vernichtet. Die Kosten der Umpflanzung liegen bei etwa 100.000 Euro pro Baum. Das Herumdoktern an den dann absehbar krank werdenden Bäumen ist dabei noch nicht einmal eingerechnet. Mit Pilzerkrankungen sei jedenfalls zu rechnen, erklären Biologen. Wäre es da nicht besser, einen stattlichen Baum von 20 Jahren für fünf- bis zehntausend Euro das Stück zu pflanzen? Es müßte auch nicht eine Platane sein, die in Deutschland gar nicht heimisch ist. Noch einen Kostenpunkt bringt die Liebe zu den alten Bäumen in Stuttgart mit sich, nämlich Millionen für die Räumungsaktionen der Polizei. Richtig teuer sind also vor allem Betonköpfe, die für Argumente nicht zugänglich sind und Mehrheitsvoten nicht akzeptieren wollen – und das im Namen der Natur. Liebe macht eben oft blind, auch die Liebe zu alten Bäumen.

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