© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Unser Essen auf Rädern
Negative Bilanz der Energieproduktion aus Nahrungsmitteln / Sprit nicht „Bio“ und Strom nicht „grün“
Bernd-Thomas Ramb

Mit der Brüsseler Verordnung, mehr Bioäthanol dem herkömmlichen Superbenzin beizumischen, bekommt das Schlagwort „Essen auf Rädern“ eine neue Bedeutung. In Deutschland wird immer mehr Ackerfläche zum Anbau pflanzlicher Rohstoffe verwendet, die zur Produktion von Kraftstoffanteilen und Biogas eingesetzt werden. Da die Gesamtanbaufläche nicht beliebig ausgeweitet werden kann, wird zunehmend der Anbau von weniger gewinnträchtigen Nahrungsmitteln zurückgefahren. Nach Schätzungen des Agrarstatistikers Georg Keckl vom Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen muß Deutschland in diesem Jahr erstmals seit 25 Jahren mehr Getreide einführen als exportiert wird.

Die Produktion von Biogas und Bioäthanol, Energie für den Tank und für die Steckdose auf Pflanzenbasis, belegt mittlerweile gut 2,3 Millionen Hektar Agrarland. Das sind 46 Prozent mehr als im Jahr 2006. Der Hauptanteil, 1,966 Millionen Hektar, wird laut Statistik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BELV) für den Anbau „sonstiger Energiepflanzen“ genutzt. Während andere Pflanzen akribisch in ihren Produktionsanteilen erwähnt werden (Rapsöl 120tausend Hektar, Heilpflanzen 10, Sonnenblumenöl 8,5 oder Leinöl 2,5), wird bei der pauschalen Angabe des Hauptanteils ausgelassen, daß es sich hier um den Anbau von Getreide handelt, das nicht mehr der Ernährung von Mensch oder Tier dient, sondern in Strom oder Kraftstoff umgewandelt wird.

Politisch ist dies ausdrücklich gewollt. In ihrem „Agrarpolitischen Bericht 2011“ verspricht die Bundesregierung: „Um die Energiewende voranzutreiben, wird die Bundesregierung verstärkt den Einsatz ertragreicher Pflanzensorten und die Optimierung der Anbausysteme für Biomasse fördern.“ Gleichzeitig wird betont: „Es darf weder eine übermäßige Konkurrenz zur Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln noch eine Beeinträchtigung naturschutzfachlich wertvoller Flächen entstehen. Der Ausbau darf auch nicht zu Lasten anderer Länder gehen, insbesondere von Entwicklungsländern mit kritischer Ernährungslage.“ Schließlich heißt es: „Für die Bundesregierung hat die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln Vorrang vor anderen Nutzungen.“

So weit die Theorie – die Praxis zeigt indes ein anderes Bild. Die Versorgungsbilanz mit Getreide offenbart seit 2006 einen scharfen Strukturwandel zugunsten der agrarischen Energieproduktion mit entsprechender Beeinträchtigung der Erzeugung von Nahrung für Mensch und Tier. So ist die Eigenversorgung der Landwirte mit Futtermitteln von 13,8 Millionen Tonnen im Jahr 2006 auf 11,9 Millionen im Jahr 2010 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum verzehnfachte sich die energetische Eigenversorgung der Landwirte von 0,1 auf eine Million Tonnen Getreideverbrauch.

Auch in der Marktbilanz ging der Futtermittelverbrauch um 1,3 Millionen Tonnen zurück, während der Getreideverbrauch für Energiezwecke im Zeitraum 2006 bis 2010 von einer knappen Million auf 2,6 Millionen Tonnen in die Höhe schoß. Desgleichen hält die Außenbilanz nicht, was die Regierung verspricht. Während der deutsche Getreideexport praktisch stagniert, nehmen die Importmengen ständig zu, von 8,7 auf zwischenzeitlich fast zwölf Millionen Tonnen. Die deutsche Lebensmittel-zweckentfremdung zur Energieerzeugung belastet unbestreitbar das Ausland, mit Auswirkungen auf die Ernährung der ärmeren Weltbevölkerung. Denn die zunehmende Verwendung von Nahrungsmitteln für Strom und Sprit schlägt sich in den internationalen Statistiken nieder, die das Bundeslandwirtschaftsministerium selbst veröffentlicht.

Das BELV zitiert dabei das US-Agrarministerium, das innerhalb der letzten drei Jahre eine Verdopplung des weltweiten Einsatzes von Getreide zur Äthanolherstellung von 64,3 auf 134,4 Millionen Tonnen verzeichnet. Den Hauptanteil produzieren US-Farmer mit zuletzt 117 Millionen Tonnen. Zu mehr als 93 Prozent wird das Bioäthanol aus Mais gewonnen. Von den weltweit für die Kraftstoffproduktion eingesetzten 125,4 Millionen Tonnen Mais produzieren wiederum die USA den Hauptanteil mit 116 Millionen Tonnen. Mais spielt zwar für die deutsche Ernährung eine untergeordnete Rolle, in Entwicklungsländern stellt er aber häufig das Hauptnahrungsmittel dar.

Nun in den USA den Hauptschuldigen der Lebensmittelzweckentfremdung und Agrarflächenvergeudung zu sehen, greift allerdings zu kurz. Auch die Europäer beteiligen sich in nicht unerheblichem Umfang an der Sprit- und Stromsünde. Für die EU-Länder stellen die Agrarstatistiker einen steigenden Einsatz von Weizen für die Äthanolherstellung fest. Beschränkte sich 2008 die Zweckentfremdung auf 1,4 Millionen Tonnen, hat sich diese Menge im Jahr 2010 auf 4,8 Millionen Tonnen mehr als verdreifacht – Getreide, das der Brotproduktion entzogen wurde. Die EU ist damit für 80 Prozent des weltweiten Weizenmißbrauchs verantwortlich.

Wenn dies wenigstens nutzen, insbesondere den Verbrauch von mineralischem Benzin reduzieren würde. Der Mehrverbrauch bei Superbenzin (E5) oder E10-Sprit gegenüber dem reinen Superplus liegt oft genauso hoch wie die beigemischte Menge Bioäthanol. Im Ergebnis wird also kein Mineralöl eingespart, sondern teures Additiv buchstäblich in die Luft geblasen. Kein Wunder, daß sich insbesondere das E10 als Reinfall erwiesen hat. Der Preisnachlaß ist zu gering, um den Mehrverbrauch zu kompensieren. Die Umweltpolitiker sind jedoch zu feige einzugestehen, daß die Bioenergiemission, die die Umwelt noch mehr belastet und den Welthunger verschärft, gescheitert ist.

Foto: Teller statt Tank: Die Herstellung von Biobrennstoffen aus Nahrungsmitteln ist ökonomischer und ökologischer Unsinn

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