© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Keiner klickt auf Seite zwei
Foren, Suchmaschinen, Bewertungsportale: Im Internet wird getrickst, was das Zeug hält
Ronald Berthold

Im Web wird gelogen, daß sich die Balken biegen. Niemand muß heute noch auf die Gnade einer Leserbriefredaktion warten, die sein Schreiben aus der Vielzahl der Einsendungen für eine Veröffentlichung auswählt. Beinahe jeder Bericht kann im Web ungekürzt kommentiert, Unternehmen können eingeschätzt und Reiseveranstalter bewertet werden. Wer will, kann sogar enzyklopädische Texte verfassen. Seit Wikipedia kann jeder den Brockhaus spielen. Oder aber eben den Brockhaus-Manipulator.

Wo sich so viele Möglichkeiten bieten, der Freude oder dem Ärger freien Lauf zu lassen, da ist die Versuchung, diese Freiheit zu mißbrauchen groß, sehr groß. Inzwischen gibt es einen Wirtschaftszweig, der ausschließlich damit sein Geld verdient. Wer will, kann sich freundliche Kommentare kaufen oder negative für die Konkurrenz. Scharen von Studenten verdingen sich heute bequem damit, für dubiose Agenturen Restaurants, Hotels oder Urlaubsorte zu bewerten, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen haben.

Manch einer, wie Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), kommt sogar zu bezahlten Facebook-Freunden. Das geht so: Agenturen verkaufen Leute, die sich als Fans im sozialen Netzwerk bei anderen – vorwiegend Firmen und Politikern – eintragen, damit diese potentielle Kunden mit ihrer großen Anzahl von Freunden beeindrucken können. Das Kalkül zielt hier auf den Herdentrieb. Motto: Wer so viele Freunde hat, muß gut sein.

1.000 deutsche Facebook-Fans gibt es so im Sonderangebot schon für 74,50 Euro. Normalerweise werden Preise bis zu 150 Euro aufgerufen. 10.000 gekaufte Freunde gibt es ab 400 Euro. Ob es sich dabei um tatsächlich existierende Personen handelt, darf jedoch bezweifelt werden. Namen wie „Ector Cisco“ oder „Paulo Pinkel“ lassen eher auf erfundene Konten schließen.

Da soziale Netzwerke vor allem von Interaktivität leben, können 1.000 Karteileichen aber auch sehr schnell kontraproduktiv sein. Warum schreibt keiner von den vielen Freunden auf der Facebook-Seite, fragen sich dann die Besucher. Oder sie hegen gleich den Verdacht, daß die Fans reine Phantome sind. Und wer so etwas nötig hat, sinkt im Ansehen der Netzgemeinde sehr schnell.

Manipuliert wird heute an vielen Stellen. Richtig verschrieen sind Portale, auf denen Hotels und Reisen bewertet werden können. Daß es hier oft nicht mit rechten Dingen zugeht, gilt als allgemein bekannt. Zu viele Reiseveranstalter bezahlen dafür, auf solchen Seiten gut wegzukommen. „Manches mit Ungeziefer verseuchte Loch wird so zum Fünf-Sterne-Resort hochgejazzt“, sagt ein Kenner der Szene.

 „Bevor man jedoch überhaupt erst einmal bewertet werden kann, muß man gefunden werden“, erklärt Hendrik K., ein sogenannter Suchmaschinen-Optimierer, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT seine Geschäftsidee. Denn für einen guten Platz bei den Suchergebnissen von Google kann man heute „einiges machen“. Erfahrungsgemäß ist allein ein Treffer auf der ersten Seite zielführend. Denn die Leser klicken nur selten auch noch eine zweite oder dritte Google-Seite an. Allerdings ist auf Seite eins der Platz begrenzt.

Hier beginnt der Job von Hendrik K.: „Alle wollen unter ihrem Stichwort möglichst weit vorn gefunden werden. Was aber, wenn man unter ‘Schuhgeschäft Hamburg’ seit Jahren auf der siebten Seite herumdümpelt?“ Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten: Der Schuhverkäufer will nach oben.

Wer Suchmaschinen-Optimierer beauftragt, sollte jedoch Geduld mitbringen. Denn es kann bis zu einem halben Jahr dauern, bis sich die Arbeit auszahlt. „Dafür muß die Seite auf vielen anderen Seiten verlinkt werden“, erklärt Hendrik K. Google scanne automatisch die Verweise auf jede Internetseite und erstelle so ein Ranking. Bis man die Scanner ausgetrickst hat, muß man sehr viele Links setzen. Auch dafür eignen sich Bewertungsportale wiederum hervorragend. Denn dort wird wenig moderiert. Was wer schreibt, steht meist ohne Zeitverzögerung 1:1 im Netz.

Königsdisziplin bei den Manipulationen im Internet ist das Ergänzen oder das Verfassen von Wikipedia-Artikeln. Wer als Unternehmen mit seinem Produkt in der Enzyklopädie erwähnt wird, der hat den Gipfel erklommen. Das Online-Lexikon genießt höchste Glaubwürdigkeit. Ein Medikament, das dort im Zusammenhang mit einer weit verbreiteten Krankheit genannt wird, hat praktisch einen Ritterschlag und die Gelddrucklizenz erhalten.

Doch auch hier muß nicht „die vielbeschworene Schwarmintelligenz am Werk gewesen sein“, sagt ein Wikipedia-Autor, der sich von der Wirtschaft bezahlen läßt. Berater wie er nutzen Wikipedias Prinzip, daß in der Enzyklopädie jeder schreiben, ergänzen oder verbessern kann. Allerdings braucht man hierfür Profis mit einem glaubwürdigen Wikipedia-Background. Ansonsten ist die Änderung so schnell wieder gelöscht wie sie eingetragen war. Denn auf werbende Einträge reagieren die Administratoren mehr als allergisch.

Hier steht nämlich der gute Ruf auf dem Spiel. Und der speist sich aus der angeblichen Unabhängigkeit und Objektivität. Dies wiederum ruft förmlich nach Mißbrauch, wie er im Web 2.0 bereits alle anderen Ebenen erreicht hat, auf denen Geld zu verdienen ist.

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