© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

CD: Wolfgang Rihm
Orgel mit Tamtam
Sebastian Hennig

Zum sechzigsten Geburtstag des Komponisten Wolfgang Rihm ist gleich eine ganze Reihe von Tonträgern erschienen. Darunter befindet sich die Einspielung der Orgelwerke, die zugleich Aufbruchsdokumente eines Tonsetzers sind, der klug und selbstbewußt einen eigenen Weg innerhalb der neuesten Musik beschreitet. Er schockierte mit einem ästhetischen Bekenntnis zum Werkcharakter seiner Stücke und einem fast romantischen Autoren-Selbstverständnis. In einer Stimmung, die das Zerschlagen aller Förmlichkeit propagierte, deren Strategie auf Entgrenzung und universelle Häßlichkeit abzielte, erhob ein junger Rebell „Werk und Form“ wieder zu „Garanten musikalischer Offenheit und des letzten Rests anarchischer Selbstbehauptung von Kunst, Künstler und Rezipient“.

Dazu braucht es freilich Energie und Einfallsreichtum. Von beidem künden die sechs Orgelstücke, die zwischen 1967 und 1980 entstanden sind. Die „Sinfoniae I. Messe für Orgel“ des 19jährigen machen deutlich, was er selbst im Rückblick über seine Motivation sagte, die Königin der Instrumente zu bestürmen: „Die Orgel war auch mein Orchester, das man mir damals noch nicht geben wollte, was ja nur normal ist.“

Eine ruppige Folge von sieben kurzen Stücken, deren Epilog in großen Zügen noch einmal darüber hinstreicht und in schroffen Hieben alles wieder aufreißt. Eine Klangbildhauerkunst. Schon in seinen frühesten Werken ist Rihm zugleich zersetzend und in großen wuchtigen Blöcken aufbauend. Er blickt zurück auf seine kompositorischen Anfänge, während der er „viel Orgelmusik komponierte (…) wenig Frommes, meist dröhnend Freies, kindhaft pompig“.

Dieser ironischen Selbstbetrachtung widerspricht der Notenkommentar des „Alleluia“- Cantus-firmus in seiner „Contemplatio per organo“ von 1967. Die dritte der „Drei Fantasien“ aus dem gleichen Jahr beinhaltet einen langsamen Hymnus. Gerade das Pompöse und Kindliche an dieser Musik, der gewaltsame Eigensinn, der schließlich doch über die Inspiration einem größeren Zusammenhang verhaftet ist, macht deren Kunstfrömmigkeit aus.

Eine Kunst, an deren Ursprung ein Affekt die Phantasie so unbedingt bewegte, daß dadurch eine gestalterische Entscheidung erzwungen wird, mußte auf die Scholastiker der seriellen und aleatorischen Klangkunst wie ein peinlicher Ausrutscher wirken. Aber aus der Verunreinigung des Purismus mit unmittelbaren, teilweise überschwenglichen Einfällen ist inzwischen ein veritables Werk gewachsen. Wolfgang Rihms bislang letzte Komposition für Orgel, „Bann, Nachtschwärmerei“ von 1980, ist ein Rückblick auf jene nächtlichen Orgelfeste, die sich der junge Komponist in seinem noch unausgelebten Drang zur Klangherrschaft gegeben hat.

Großen Anteil am spezifischen Klang dieser Interpretation hat das Instrument und dessen Erschließung durch das kundige Spiel des Organisten Dominik Susteck. Die Orgel von Sankt Peter in Köln wurde nach der Konzeption von Peter Bares komplett überholt und erweitert. Sowohl neue Klangfarben bis zur Kinoorgel als auch raffinierte Spielhilfen, wie Tastenfessel und Winddrossel, führten zu einer Klangmaschine neuen Typus, die kongenial zum Rihmschen Komponieren zum Ursprung dieser Kunst zurückweist.

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