© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Pankraz,
Sascha Lobo und die getürkte Sofortness

Problem oder Pseudo-Problem? Das fragte sich Pankraz, als er neulich bei „Quarks & Co,“, dem TV-Wissenschaftsmagazin des WDR, einer Sendung über die „Sofortness“ lauschte. Wir modernen Wohlstandsbürger, so erfuhr er, lebten alle im Zeichen dieser „Sofortness“. Jeder wolle immer „alles sofort“, und das habe tiefreichende verhängnisvolle Folgen für die öffentliche Logistik, für Vorratshaltung und Müllabfuhr, Verkehrsstau, Kindererziehung und vieles andere mehr. Es grauste einem ordentlich.

Experten wie der Großblogger Sascha Lobo (der mit dem roten Irokesenhaarschnitt) meldeten sich zu Wort und verlautbarten Sätze wie diese: „Sofortness ist das Krönchen der Beschleunigung. Es geht nicht mehr schneller als sofort.“ Da fiel Pankraz der alte (scherzweise erfundene?) Oberlehrerspruch aus seiner Schulzeit ein, der da lautete: „Du bleibst da, und zwar sofort!“ Sofortigkeit (neudeutsch also „Sofortness“) ist gar kein Phänomen der Beschleunigung, sondern ein Moment der Anwesenheit. Es geht bei ihr nicht um Schnelligkeit, sondern um unmittelbare Verfügbarkeit.

Ganz offenbar diente das Stichwort „Sofortness“ über der Sendung dazu, einige Banalitäten, die von Haus aus nichts (oder nur sehr wenig) miteinander zu tun haben, gewaltsam unter einen Hut zu bringen und sie dadurch „aufzupeppen“. Es ist ja schließlich die pure Banalität, daß Unfallstationen jederzeit voll einsatzfähig und mit Nothilfemitteln gut versehen sein müssen, um sofortige Hilfe zu leisten. Fast in jedem Fernsehkrimi kann man solche Soforthilfen inklusive Hubschraubereinsatz besichtigen. Also kommt „Quarks & Co.“ nun mit dem bedeutungsschwangeren Mantra „Sofortness“.

Leicht zuordnen lassen sich da Bilder von Schwerlastzügen, die Autobahnen verstopfen, von Medikamenten und Lebensmitteln, deren Verfallsdatum überschritten ist und die auf dem Müll landen, von schreienden Babys, die ihren Lollipop „sofort“ haben wollen – und schon ist das Schreckbild von unserer „Anspruchsgesellschaft“ komplett, einer Gesellschaft, welche angeblich immer alles sofort haben will und damit Logistik und Umwelt schwer belastet, wenn nicht zerstört.

An sich ist „Quarks & Co.“ keine schlechte Sendung, aus der man manches lernen kann, Doch im Falle der „Sofortness“ ist sie dem modischem Irrtum aufgesessen, daß es primär auf die Verpackung ankomme und daß sich der Inhalt der attraktiven Verpackung schon irgendwann und irgendwie anpassen werde. Das trifft indessen nicht zu, wie gerade die „Sofortness“-Sendung bewiesen hat. Das Mantra „Sofortness“ taugt keineswegs zur realistischen Kennzeichnung der gegenwärtigen Lage.

 Natürlich stimmt es, was einleitend zu der Sendung gesagt wurde: „Immer mehr Menschen wollen immer mehr kaufen. Die Waren kommen von immer weiter her: Seit dem Jahr 2000 hat sich das weltweite Handelsvolumen verdoppelt. Alles immer schneller überall.“ Höchst fraglich aber wird es, wenn man dann fortfährt: „Sofortness prägt unsere Welt und wird sie weiter verändern. Wenn wir sie steuern wollen, müssen wir uns fragen: Wieviel Sofortness wollen und können wir uns leisten?“

Schon ein oberflächlicher Blick auf das durchschnittliche Kaufverhalten hierzulande straft die „Quarks & Co.“-Perspektive Lügen. Der Kunde ist auf nichts weniger als auf Sofortigkeit aus,  sondern in erster (und auch noch in zweiter und dritter) Linie auf Qualität. Selbstverständlich will er nicht, wie einst die „Ossis“ in alten DDR-Zeiten, fünfzehn Jahre auf einen fahrbaren Untersatz (Trabi) warten, und er will auch gutbestückte Stände mit frischem Obst und frischem Gemüse, das sind ja pure Selbstverständlichkeiten. Doch nirgendwo gibt es Gezeter wegen angeblich mangelnder „Sofortness“, fast im Gegenteil.

Die Lebenseinstellung, die sich zur Zeit am intensivsten und offenbar gleichmäßig in allen Schichten ausbreitet, läuft immer deutlicher auf ein gelassenes und gutgelauntes Warten hinaus. Man huldigt zunehmend dem buddhistischen Grundsatz „Der Weg ist das Ziel“. Die Sehnsucht nach etwas wird bei Erfüllung stets zu einem nicht unbeträchtlichen Teil enttäuscht. Mag sein, daß das inzwischen schon eine Rolle spielt beim ganz alltäglichen Einkauf von Lebens- und Gebrauchsmitteln. Man ist skeptischer geworden, doch auch geduldiger.

Bei den Lieferfristen für anspruchsvolle Gerätschaften oder Großreparaturen registrieren die Firmen jedenfalls spätestens seit Eintritt der Finanz- und Schuldenkrise eine allgemeine  Verkürzung, in einigen Branchen eine extreme. Die Verdoppelung des globalen  Handelsvolumens seit 2000 entstand nicht wegen der Gier nach „Sofortness“, sondern erstens wegen des rapiden Wachstums der Weltbevölkerung, zweitens deshalb, weil in der Zwischenzeit mehrere wichtige „Schwellenländer“ höchst aktiv in den Welthandel eingriffen, Deren innere Logistik ist freilich gebietsweise noch sehr auf traditionelle Behäbigkeit eingestellt; es wäre absurd, sie der „Sofortness“ zu bezichtigen.

Wie bekannt, gibt es in der Philosophie bereits seit langem eine ausgedehnte Entschleunigungsdebatte. Gewisse Vorgänge in der von Technik und Digitalität geprägten Moderne stören das gute Zusammenleben. Vielerorts ertönt deshalb das Lob der Langsamkeit, andere (darunter Pankraz) empfehlen eine genaue Orientierung am Rhythmus der lebendigen Natur, wo Epochen der Ruhe und der scheinbaren Untätigkeit plötzlich abgelöst werden können (und offenbar müssen) von schier rasenden Entwicklungssprüngen, mit Geschwindigkeiten, die jedes kulturell-menschliche Vorankommen in den Schatten stellen.

Mit „Sofortness“ hat dergleichen nicht das geringste zu tun. Diese ist – um es zu wiederholen – kein Moment der Geschwindigkeit, sondern eines der Verfügbarkeit, besonders in Notfällen. Insofern war Sascha Lobos Definition gar nicht so übel: Sofortigkeit ist das „Krönchen“ der Beschleunigung. Man kann so etwas nur tragen, wenn man nicht gerade an einem 100-Meter-Rekordlauf teilnimmt.

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