© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Lösungen, verzweifelt gesucht
Bevölkerungspolitik: Mit einer Demographiestrategie will die Bundesregierung die Entvölkerung Deutschlands verhindern
Michael Martin

Deutschland leidet an einer demographischen Dauerkrise. Die Geburtenrate war in den vergangenen 40 Jahren dauerhaft niedrig. Seit Mitte der siebziger Jahre liegt die Zahl der Kinder pro Frau in Deutschland bei durchschnittlich 1,4. Die Entwicklung der deutschen Bevölkerung ist daher rückläufig. Bis zum Jahr 2060 wird sie bei Fortsetzung des Trends von derzeit 81,7 Millionen Menschen auf 65 bis 70 Millionen Menschen zurückgehen (siehe auch die Seiten 7 und 12).

Über Gegenmaßnahmen wird seit Jahren eifrig diskutiert. So hatte die schwarz-gelbe Koalition bereits im November 2009 den Bundesinnenminister damit beauftragt, gemeinsam mit den anderen Ressorts eine Demographiestrategie zu erarbeiten. Sie soll die Maßnahmen und Handlungsansätze des Bundes bündeln und zur Grundlage eines gemeinsamen und koordinierten Vorgehens mit den Ländern, den Kommunen und den betroffenen gesellschaftlichen Akteuren werden. Als erster Schritt wurde wenig später ein Ausschuß eingerichtet, in dem Staatssekretäre der verschiedenen Bundesministerien gemeinsame Grundlagen erarbeiten. „Ziel ist es, die Programme und Initiativen der Bundesregierung zur Gestaltung des demographischen Wandels zusammenzutragen, zu koordinieren und zu einem Gesamtkonzept zusammenzubinden“, heißt es dazu aus dem Innenministerium. Im Juni 2010 richtete der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) schließlich den „Expertenrat Demographie“ ein. Dieser soll den Ursachen und Folgen des demographischen Wandels auf den Grund gehen und die Regierung in Fragen der Bevölkerungsentwicklung im allgemeinen und der Demographiestrategie der Bundesregierung im besonderen beraten. Interne Zielsetzung: Bis Frühjahr 2012 sollte ein fertiges Konzept erarbeitet werden.

Der Zeitpunkt ist nun gekommen, und deshalb konnte es nicht überraschen, daß sich Kanzlerin Angela Merkel persönlich einschaltete. Ende April findet im Kanzleramt ein Fachkongreß zum Thema Demographie mit Merkel und Vertretern aus Politik, Wirtschaft sowie Verbänden statt. Einen Tag später soll das Kabinett die Demographiestrategie absegnen. Unter anderem soll an die Wirtschaft appelliert werden, mehr Ältere zu beschäftigen und dieser Arbeitnehmergruppe mehr Möglichkeiten zu eröffnen. „Es wird auch eine deutliche Absage an die Frühverrentung geben“, zitiert die Welt aus Kreisen des Bundes-innenministeriums.

Eine Expertenrunde der CDU/CSU-Fraktion schlägt derweil ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor. Als wichtigste Neuerung plädieren die Unionspolitiker für eine „Demographierücklage“, mit der sie die Sozialversicherung stabilisieren wollen. Diese einkommensabhängige Sonderabgabe soll in Zukunft jeder Beitragszahler ab dem 25. Lebensjahr zahlen müssen. „Wir müssen jetzt für die Zeit ab 2030 vorsorgen, wenn die Babyboomer der fünfziger und sechziger Jahre im Ruhestand sind und für sie mehr Gesundheits- und Pflegekosten entstehen“, sagte Unionsfraktionsvize Günter Krings, der die Arbeitsgruppe leitet. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Demographiestrategie der Regierung sehe „keine irgendwie geartete neue Steuer“ vor. Entsprechende Forderungen in einem Positionspapier „einer Untergruppe der CDU/CSU-Fraktion“ hätten „nichts mit der Demographiestrategie der Bundesregierung zu tun“.

Dennoch hat die Diskussion an Fahrt gewonnen. „Die Bildung der Demographierücklage soll dazu beitragen, das Ungleichgewicht des Generationenvertrags zu glätten“, heißt es in einem Positionspapier der Projektgruppe Demographie der Unionsfraktion, die von Fraktionschef Volker Kauder eingesetzt wurde. SPD und Grüne sind gegen eine solche Abgabe. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sagte: „Statt die Kommunen zu stärken, Familien und Kinder zu stützen, Potentiale des Alters zu aktivieren, die aufziehende Fachkräfteproblematik anzugehen, für gute Löhne für gute Arbeit zu streiten, fordern CDU/CSU eine Art Demographie-Steuer. Und das als Sonderbelastung der Arbeitnehmer, kapitalgedeckt, also spekulationsgefährdet.“

 Bundeskanzlerin Merkel gibt sich dagegen gelassen. Mit ihrer langfristig angelegten Demographiestrategie will die Regierung verhindern, daß es infolge der Alterung zu Verwerfungen kommt. Dabei kommt der Familienpolitik eine zentrale Bedeutung zu. Ziel sei es, „daß durch mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit und durch günstigere Rahmenbedingungen mehr Kinder in Deutschland geboren werden“, zitiert die Welt aus dem Papier. Schlagwort ist dabei eine geforderte „Kultur der Familienfreundlichkeit“. Damit gemeint ist „eine Gleichstellungspolitik, die für Frauen und Männer gerechte Chancen und berufliche Perspektiven schafft“. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels fordern die Unionsexperten eine gezielte Steuerung der Zuwanderung. „Zentrales Steuerungsinstrument der Erwerbsmigration muß Zuwanderung in konkrete Beschäftigungsverhältnisse sein.“ Dafür müßten nicht einmal neue gesetzliche Regelungen geschaffen werden.

Foto: Immer mehr ältere Menschen, immer weniger Kinder: „Zuwanderung in konkrete Beschäftigungsverhältnisse“

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