© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Pankraz,
der Protestantismus und die ewige Schuld

Ein Wort zum Karfreitag, speziell für protestantische Kirchen in Deutschland. Wenn heute öffentlich über diese Kirchen gesprochen wird, so ja nur noch bei Fragen der Politik, etwa wenn es um die angebliche „Protestantisierung“ der deutschen Politik via Merkel & Gauck geht oder um die Organisierung des „Kampfes gegen Rechts“. Als Glaubensfaktor ist der Protestantismus ein für allemal erledigt.

Man kann das Datum der Abdankung recht genau festlegen: Es war der April 1985, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker seine große Schuldrede zum 8. Mai vorbereitete. Da rückte auch – über Mauer und Stacheldraht hinweg – die evangelische Kirche in Ost und West mit einem gemeinsamen „Wort zum Frieden“ heraus, und es war ein wahres Horrorwort, das sogar bei manchem braven SPD-Politiker, der noch in die Kirche ging, Protest hervorrief.

Aber der Skandal lag nicht in erster Linie in der politischen Aussage jenes „Worts zum Frieden“, seiner hemmungslosen Feier des geopolitischen Status quo, sondern in der Art, wie sie „begründet“ wurde. Der Kernpunkt der christlichen Botschaft, das Schuldigwerden des Menschen vor Gott, seine Verstrickung in die Macht des Bösen und seine Erlösungsbedürftigkeit – sie wurden hier in geradezu monströser Weise profaniert und politisiert.

Die vorbehaltlose Huldigung an die sogenannte „Nachkriegsordnung“ entsprach alten sowjetischen Forderungen, sie schloß ein: die allseitige Anerkennung der Spaltung Deutschlands und Europas, die Anerkennung einer dezidiert antichristlichen Diktatur über halb Europa, die Aberkennung der Bürgerrechte, welche gerade damals die evangelische Kirche in Südafrika so lautstark einforderte, für Millionen von Ost- und Mitteleuropäern.

Ist es an sich schon ein starkes Stück, als Kirchenmann und Gottesfrau ein solches An- und Aberkennungsprogramm zu unterstützen, so geriet ihre „Begründung“ zur puren Unerträglichkeit Die Nachkriegsordnung, so verkündete man allen Ernstes , sei ein göttliches Strafgericht, sie sei Folge der Schuld, die speziell der deutsche Mensch auf sich geladen habe, sie müsse also nicht nur um des lieben Friedens willen anerkannt werden, sondern vor allem deshalb, weil sie unabdingbarer Bestandteil des von Gott über die Deutschen verhängten Schuld-Sühne-Zusammenhangs sei.

Abgesehen davon, daß da die Polen und andere nichtdeutsche Ost-Mitteleuropäer ohne weiteres in das innerdeutsche Schuld-Sühne-Geschehen einbezogen wurden, verblüffte die Unbekümmertheit, mit der die Hirten mit dem Zentralbegriff der Schuld herumhantierten. Denn an sich ist die Schuld nach christlich-evangelischem Verständnis eine tragische Konstituente des Menschseins überhaupt, etwas, das der einzelne, jenseits jeder irdischen Rechtsprechung, mit sich und Gott allein ausmachen muß.

Im „Friedenswort“ der Hirten schnurrte sie zu einer regionalen Angelegenheit zusammen, zu einem „Fluch“, der zudem allein die Deutschen betreffen soll. So wie es in bestimmten animistischen Religionen bestimmte verfluchte, mit einem Tabu belegte Gegenden gibt, so gab es (und gibt nach wie vor) für die evangelischen Oberhirten bestimmte verfluchte Völker, genauer: ein einziges verfluchtes Volk, das eigene, das sich deshalb alles gefallen lassen müsse.

Und schlimmer noch: Die protestantischen Oberhirten führen sich seitdem auf, als seien sie nicht Bestandteil dieses angeblich verfluchten Volkes, sondern eine Art fünfte Besatzungsmacht, berechtigt, dem Volk von oben herab die Leviten zu lesen. Unsere evangelischen Hirten beten offenbar nicht mehr: „Herr, nimm die Schuld von uns und unserem Volk“, sondern sie beten: „Herr, halte sie fest in ihrer verfluchten Schuld, auf daß sie auf unser drohendes Donnerwort hören.“

Es ist dies eine vorchristliche, allenfalls alttestamentarische Verhaltensweise. Unsere Hirten fühlen sich offenbar als ein zweiter Jesajas oder Jeremias, sie tun so, als gäbe es nicht längst die Frohe Botschaft, Vergebung und Gnade für jeden einzelnen. Das hängt damit zusammen, daß tatsächlich immer weniger von ihnen selbst an die Frohe Botschaft glauben. Statt Theologie praktizieren sie Soziologie, statt Verkündigung fade, transzendenzlose „Mitmenschlichkeit“, statt Nächstenliebe Fernstenliebe. Statt Trost zu spenden, verbreiten sie Augenblickspanik und Lebensangst.

Wenn man ihrem Treiben zusieht, könnte man oft glauben, nicht Christus, sondern der Antichrist, nicht Gott, sondern der Teufel sei in ihnen lebendig.Wie sagte hingegen der amerikanische Präsident Reagan über die deutsche Schuld auf einer Pressekonferenz in Washington? „Wir sollten diesen Tag (den 8. Mai) als jenes Datum feiern, an dem vor vierzig Jahren der Frieden und die Freundschaft begannen (...) Ich meine, daß den deutschen Menschen, von denen wenige noch leben, die eine direkte Erinnerung an den Krieg haben, ein Schuldgefühl aufgebürdet wurde, und das ist unnötig. Sie verdienen vielmehr Anerkennung für die Demokratie, die sie geschaffen haben ...“

Das war wahrhaft christlich gesprochen, die deutschen evangelischen Hirten könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Für Reagan waren die Schrecken des Krieges nicht vergessen, aber sie waren „aufgehoben“ im doppelten, hegelschen Sinne, nämlich bewahrt in der Erinnerung der Nachgeborenen als Menetekel und Lehre, gleichzeitig getilgt in ihrer Schulddimension durch tätige Wiedergutmachung einerseits, göttliche Gnade und christliches Verzeihen andererseits.

Die Schuld rückt in eine historische Distanz, aus der heraus sie nicht mehr als Knüppel für Politiker, die im Trüben fischen wollen, und als Totschlagewort für selbsternannte Kapuzinerprediger verwendbar ist. Das deutet sich übrigens auch schon im Alten Testament an. „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer“, sagt dort der an sich höchst grimmige Prophet Hosea, „ich habe Lust an der Erkenntnis und nicht am Brandopfer.“ Die protestantischen Hirten sollten sich’s endlich hinter die Ohren schreiben.

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