© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Munition für die Freunde der Freiheit
Wirtschaftsliteratur: Gerd Habermann präsentiert einen Gegenentwurf zum real existierenden Sozialdemokratismus / Gegen Umverteilung und Klientelwirtschaft
Bruno Bandulet

Von seiten der Bundeskanzlerin, der etablierten Parteien und der Massenmedien wird die Krise, in der Euro und EU-Zentralismus stecken, immer noch als taktisches Problem gesehen, dem mit ständigen Gipfelkonferenzen, immer größeren Rettungsschirmen und Reparaturarbeiten an den Europa-Verträgen beizukommen ist. Daß das Ganze falsch ist, daß die heraufziehende Katastrophe aus einer unheilvollen ökonomischen und politischen Philosophie resultiert, liegt jenseits des Horizontes der Machthaber. Und doch: Es existiert eine Denkschule, mit der sich die große Finanzkrise von 2008 und die seit 2010 schwelende Euro-Krise analysieren und vorhersagen ließen, und die darüber hinaus Wege aus der Sackgasse weist.

Die Rede ist von der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im weiteren Sinne, deren Anhänger in der Hayek-Gesellschaft zusammengefunden haben. Der in diesem Jahr verstorbene Roland Baader (JF 3/12) war Mitglied, der Wirtschaftsphilosoph und Hochschullehrer Gerd Habermann leitet überdies die „Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft“ seit ihrer Gründung. Wer sich auf das intellektuelle Abenteuer freiheitlichen Denkens einlassen möchte, kann Friedrich August von Hayek oder Ludwig von Mises lesen oder auch Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ oder Wilhelm Röpkes „Jenseits von Angebot und Nachfrage“. Oder er greift zu Habermanns neu erschienenem „Handlexikon für liberale Streiter“. Dort findet er in Hunderten von präzise ausgearbeiteten Beiträgen, die meist weniger als eine Seite beanspruchen, alles, was in der aktuellen deutschen Diskussion wichtig ist – von der „Abgabenquote“ bis zum Stichwort „Zwei-Klassen-Medizin“. Professor Habermann versteht es, Fakten mit Analyse und Meinung zu verbinden – eine zeitökonomische Lektüre, die eine Überfülle von Argumenten liefert.

Die Befürchtung, daß der Leser auf offizielle FDP-Programmatik stößt, erweist sich als unbegründet. Deutlich wird vielmehr, wie weit sich die FDP-Führung und mit ihr die zwei anderen bürgerlichen Parteien von den Grundsätzen entfernt haben, die eine freie Gesellschaft ausmachen. Habermann selbst konzediert an einer Stelle, daß der Begriff „liberal“ reichlich abgenutzt sei und daß es schöner wäre, ihn durch einen neuen zu ersetzen. „Libertär“ klinge etwas künstlich. Vorschlag: Wie wäre es mit „freiheitlich“? So oder so verträgt sich richtig verstandener Liberalismus mit konservativen Werten (siehe Röpke), aber auch mit dem Konzept nationaler Interessen (siehe die nationalliberalen Anklänge bei Habermann).

Den „Kern“ des Liberalismus definiert der Autor folgendermaßen: Eigentum einschließlich Erbrecht; Freiheit („Selbstbestimmung vor Fremdbestimmung“); Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“; Gerechtigkeit; Haftung; und schließlich Subsidiarität mit klaren Zuständigkeiten vom Individuum und der Familie bis hin zur Nation, mit Einschränkungen auch bis hin zu internationalen Organisationen.

Ist der Kern der Freiheit erst einmal definiert, ergibt sich alles andere von selbst, auch die Praxis einer besseren europäischen Gemeinschaft, in der jeder nach seiner Façon selig werden kann, in der jeder für seine Finanzen selbst verantwortlich ist und für seine Schulden haftet, in der Wettbewerb herrscht zwischen Währungen und Wirtschaftssystemen. „Ein Verzweiflungsakt unbelehrbarer, nur auf kurzen Zeitgewinn spekulierender europäischer Politiker ist der ab 2013 einzurichtende Europäische Stabilitätsmechanismus“, schreibt Habermann zum ESM. Er diene „der subventionierten Kreditgewährung an konkursreife Staaten, nachdem der erste ‘Rettungsschirm’ dieser Art nicht mehr auszureichen schien. Der ESM stellt keine Lösung des Schuldenproblems der ehemaligen Weichwährungsländer wie Griechenland, Portugal usw. dar, sondern vermehrt noch deren Schuldenlast – wofür sich die helfenden Länder wie Deutschland ihrerseits noch mehr verschulden. Dies alles läuft auf einen europäischen Gesamtkonkurs und/oder hohe Inflationsraten hinaus.“

Fazit: ein kompletter Gegenentwurf zum real existierenden Sozialdemokratismus in Berlin und Brüssel, brillant und scharf formuliert, nie langweilig. Empfehlenswert auch für die Politiker des Regierungslagers, die im Tagesgeschäft der Euro-Rettung, der Umverteilung und Klientelwirtschaft schon lange die Orientierung verloren haben.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes „Gold & Money Intelligence“.

www.bandulet.de

Gerd Habermann: Freiheit oder Knechtschaft? Ein Handlexikon für liberale Streiter, Olzog Verlag, München 2011, gebunden, 256 Seiten, 26,90 Euro

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