© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

„Den Verstand nicht ausschalten“
Energiewende: Experten mißtrauen dem Energiekonzept der Bundesregierung und halten Zusammenbrüche des Stromnetzes für möglich
Klaus Peter Krause

Den Verstand ausschalten und kritische Fragen nach den technischen, wirtschaftlichen und politischen Risiken der Energiewende beiseite schieben“ – dagegen wandte sich Eberhard Bohne auf dem 4. Speyerer Energie-Forum in Berlin, das den Zwiespalt der Energiepolitik zwischen „Stromausfall und Super-Gau“ schon im Tagungsmotto aufgriff und sich den „Chancen und Risiken der Energieversorgung ohne Kernenergie“ widmen sollte.

Dem Professor für Umwelt- und Energierecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ging es als Tagungsleiter darum, „einen kritischen Überblick über die vielschichtigen Probleme des Kernenergieausstiegs und Anstöße für eine differenziertere Sichtweise zu geben, als sie vielfach in der plakativen öffentlichen Auseinandersetzung anzutreffen ist“. Die rund 70 Teilnehmer der zweitägigen Veranstaltung im Bundesratsgebäude waren Fachpublikum. Sie kamen aus Ministerien, Behörden, Gemeinden, Energieunternehmen und Verbänden.

Seitdem die Bundesregierung im März 2011 abrupt den endgültigen Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen hat, verstummen die kritischen Stimmen nicht, die Deutschlands Energiesicherheit durch steigende Preise und instabile Netze in Frage gestellt sehen. Bis heute versucht die Bundesregierung zu beschwichtigen. Franzjosef Schafhausen aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) verteidigte im Forum das Energiewendekonzept der Regierung. Danach sei die Energiewende sicher, bezahlbar und umweltfreundlich.

Vom Energiekonzern E.on erhielt Schafhausen nicht viel Gegenwind. Die überwältigende Zustimmung zur Energiewende in Bundestag und Bundesrat müsse man respektieren, auch wenn man es nicht für richtig halten müsse. „Aber wir werden nun mitmachen. Es geht ohne Kernkraft, und es wird funktionieren“, beteuerte der Konzern-Vertreter Guido Knott. Allerdings darf man die Blackout-Gefahr nicht unterschätzen. „Wenn Blackout, dann nicht für eine Stunde, sondern für Tage. So lange dauert es nämlich, das Netz wieder auf die Frequenz von 50 Hertz zu bringen“, so Knott.

Die Sorgen um Netzzusammenbrüche teilte auch Lex Hartman von dem Stromnetzbetreiber Tennet TSO GmbH. An Stromkapazität sei in Deutschland als Folge der erneuerbaren Energien mehr vorhanden als an Stromhöchstbedarf. Um Störungen im Netz zu verhindern, seien Eingriffe ins Netz früher dreimal im Jahr nötig gewesen, heute dreimal am Tag. „Wenn wir die Energiewende wollen, brauchen wir 4.500 Kilometer neue Überlandleitungen. Aber wie kriegen wir die Akzeptanz hin?“ zuckte Hartman ratlos mit den Schultern. Sein Unternehmen hat Ärger, weil es finanziell und zeitlich daran scheitert, den Windkraftstrom von der Nordsee schnell genug in den Süden zu leiten.

Rudolf Wieland, Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) beim Bundesumweltministerium, räumte Sicherheitsbedenken gegenüber laufenden Atommeilern aus. Kernkraftnutzung sei in Deutschland eine sichere Technologie, weil man die Anlagen sicher betreiben kann, wenn man sie sicher genug macht: mittels robuster Technik, umfassender Organisation und hoher Qualitätsanforderungen an die Mitarbeiter.

Darin stimmte er mit Wolfram König, dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, überein, der weit davon entfernt war, die Gefährlichkeit der Atomkraft zu verharmlosen. „Nehmen Sie die gesundheitlichen Gefahren ernst“, warnte er. Die Entsorgung abgebrannten Nuklearmaterials in Europa und Deutschland sei aber weniger ein technisches, sondern ein emotionales Problem. Wenn es nicht gelinge, die Bevölkerung zu überzeugen, könne das Entsorgungsproblem nicht gelöst werden.

Gerhard Weissmüller erhoffte sich von der Energiewende einen „Mega-Impuls“ für die zukünftige Entwicklung der Stadtwerke. Als Geschäftsführer der von ihm gegründeten DEEnO-Energie AG in Speyer plant der Lehrbeauftragte am Karlsruher Institut für Technologie, die Energieversorgungssysteme energetisch, ökonomisch und ökologisch zu optimieren. Er will Strukturen einer dezentralen Energieversorgung aufbauen, die Kraft-Wärme-Kopplung darin einbeziehen. Sein Optimierungsmodell ist speziell auf lokale Netze gemünzt, wie sie Stadtwerke betreiben.

Daß die deutschen Nachbarstaaten über den „teutonischen Furor“ in der Energiewende alles andere als glücklich sind, betonte Christian Hewicker vom Bonner Beratungsunternehmen KEMA Consulting. Dort sehe man vor allem die Auswirkungen der deutschen Energiewende auf den eigenen Energiesektor sehr kritisch. Bemängelt würden die rasche Umsetzung und der weitgehend unkoordinierte Ausbau der erneuerbaren Energien. Es sei kein unerhebliches Risiko, daß „Gegenmaßnahmen“ der Nachbarn auch negative Auswirkungen auf den deutschen Strommarkt hätten.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen