© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Katholische Krise
Ostern II: Die Katholiken in Deutschland sind innerlich gespalten
Gernot Facius

Verschämt schlägt mancher deutsche Katholik bei Tertullian nach. „Seht, wie sie einander lieben“, ließ der antike Autor im 2. Jahrhundert die heidnische Welt voller Hochachtung von den Christen künden. Von einem solchen liebevollen Miteinander ist im Katholizismus unserer Tage wenig zu spüren. „Konservative“ gegen „Liberale“, Kleriker gegen Laien, vereinzelt auch Bischöfe gegen Bischöfe, es toben Lagerkämpfe, wie man sie von politischen Parteien her kennt, und der Ton der Diskussionen wird immer rauher. Stil und Atmosphäre der innerkirchlichen Debatten seien manchmal „erschreckend“, befindet Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Der Mannheimer Katholikentag im Mai soll deshalb ein Forum für einen fairen Austausch der Argumente werden, gewünscht ist ein „neuer Aufbruch“. Den hat die Kirche bitter nötig. Der Mißbrauchsskandal hängt ihr nach wie vor wie ein Mühlstein am Hals. Sie hat zwar die Richtlinien für den Umgang mit Sexualtätern aus den eigenen Reihen verschärft; sie hat die Opfer in den Mittelpunkt gerückt und ein Präventionskonzept entwickelt; sie war bei der Aufarbeitung der Affären konsequenter als jede andere Institution. Aber sie hat nicht das amerikanische Null-Toleranz-Modell übernommen: Nur in Extremfällen wird in Deutschland die kirchenrechtliche Höchststrafe, die Entlassung aus dem Priesteramt, angewandt. Damit provoziert die Kirche neue Vorwürfe, es mit der „Reinigung“ doch nicht so genau zu nehmen. Vor allem Blätter wie der Spiegel und sensationsgierige Online-Medien nutzen die Chance, den Bischöfen weiter Vertuschung zu unterstellen.

Seit 1990 sind mehr als 2,6 Millionen Menschen aus der Kirche ausgetreten, allein 2010, unter dem Einfluß der Mißbrauchsskandale, waren es mehr als 180.000. Auf dem Röntgenbild erscheinen noch andere kirchliche Krankheitszeichen. Im Jahr 1990 gingen noch rund 22 Prozent der Katholiken zum Gottesdienst, bis 2010 sank die Beteiligung auf etwa zwölf Prozent, mit weiter fallender Tendenz. Die Zusammenlegung von Pfarrgemeinden zu Mega-Seelsorgeeinheiten wird den Abwärtstrend noch beschleunigen. Seit 13 Jahren ist die Zahl der Priester um 20 Prozent geschrumpft, das ist doppelt soviel wie der Rückgang des Anteils von Katholiken an der Bevölkerung. Dies macht Strukturänderungen unausweichlich. Natürlich gibt es „mobile Katholiken“, die weite Wege zur Eucharistiefeier in einem zentral gelegenen Gotteshaus auf sich nehmen, doch dürften sie noch in der Minderheit sein, das Gros der Gläubigen möchte, daß die Kirche im Dorf bleibt. Kirche wird dort erlebt, wo die Menschen sich zu Hause fühlen, ihre Heimat haben. In der Diözese Augsburg haben an die 30.000 Katholiken ihre Kirche symbolisch umarmt, nachdem bekannt geworden war, Bischof Konrad Zdarsa wolle aus 1.000 Gemeinden 200 machen, weil Priester fehlen.

Die „Umarmung“: ein starkes Zeichen der Kirchenbindung. „Aus Wut-Katholiken werden engagierte Mut-Katholiken, die sich gegen die kirchlichen Obrigkeiten wehren“, kommentierte der ehemalige McKinsey-Direktor Thomas von Mitschke-Collande, der Bistümer bei der Umstrukturierung beraten hat. Augsburg ist überall. In fast allen 27 Diözesen entstehen großflächige „pastorale Räume“. Einen Priester in „Ruf- und Reichweite“ zu haben, wie vom Episkopat einst formuliert, entspricht nicht mehr der Realität. Ein ekklesiologisches Prinzip wird auf den Kopf gestellt, indem man sich einseitig an der Zahl der verfügbaren Priester orientiert. Im Ruhrbistum Essen zählt die größte der Großgemeinden 40.000 Seelen, sie ist fast doppelt so stark wie die Diözese Görlitz.

Nach dem Kirchenrecht von 1983 soll der Pfarrer bemüht sein, „die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen zu kennen“. Unter den gegebenen Umständen ist das utopisch. Das erklärt die Forderungen nach einer Lockerung der Zölibatsbestimmungen, der Weihe erprobter, verheirateter Männer (viri probati) und einer stärkeren Beteiligung von Laien an der Seelsorge. Sie stoßen auf Ablehnung in Rom. Deutsche Kurienkardinäle wie Walter Brandmüller und Paul Josef Cordes deuten sie als den Ruf nach einer „anderen Kirche“, sprechen von einem „schismatischen Klima“, von einer neuen „Los von Rom“-Bewegung. Das treibt die Polarisierung auf die Spitze. „Es gibt Positionen, die sind nicht verhandelbar“, hat Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck klargestellt. Die Hierarchie wittert eine „Protestantisierung“, umgekehrt werfen Reform-Vordenker ihren Kritikern „Fundamentalismus“ vor.

Dabei hat kein Geringerer als Professor Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., schon 1970 gesagt, die Kirche von morgen werde „auch gewisse neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen“. Heute belastet die anhaltende Diskussion über den Zölibat den „Dialogprozeß“ von Bischöfen, Priestern und Laien. Alle, zum Teil berechtigte Gründe, am Pflichtzölibat festzuhalten, wiegen nach Worten von Bernhard Vogel (Ex-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen sowie früherer ZdK-Präsident) „nicht so schwer wie die Not vieler priesterloser Gemeinden, in denen die sonntägliche Meßfeier nicht mehr möglich ist, und die wachsende Gefahr, daß die wenigen noch zur Verfügung stehenden Priester sich in ihrem Bemühen, der ständig zunehmenden Belastung gerecht zu werden, verzehren“. Der Jesuitenpater und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach warnt davor, Pfarrer zu „Sakramentenmaschinisten“ zu degradieren – oder zu „Blaulichtpriestern“, die Eucharistie feiern und dann verschwinden.

Sind sonntägliche Wortgottesdienste ohne Priester ein Ausweg aus der Misere? Nein, sagen Bischöfe wie der Augsburger Oberhirte Zdarsa und erlassen ein Verbot. Damit ist das Problem freilich nicht gelöst. „Der Bischof kann zwar verbieten“, gab der engagierte Katholik von Mitschke-Collande in der Süddeutschen Zeitung zu bedenken, „aber er kann nicht verhindern, wenn sich Gläubige trotzdem am Sonntag zum Wortgottesdienst versammeln. Dies ist kirchlicher Ungehorsam, gerechtfertigt durch das Evangelium.“ Und er ruft ein Wort des verstorbenen Augsburger Bischofs Josef Stimpfle in Erinnerung: „In jedem Dorf sollen sonntags die Glocken läuten.“ Für Mitschke-Collande heißt das: Damit die Leute zum Gottesdienst kommen – wenn es nicht anders geht, auch zum Wortgottesdienst. Aber auch, um denen, die im Bett bleiben, zu zeigen, daß der Sonntag ein besonderer, heiliger Tag ist. Wenn bis zum Jahr 2025 aus 1.000 Pfarreien im Bistum 200 werden, dann werden allerdings sonntags viele Glocken schweigen. Da geht eine alte Kultur verloren, ein Stück Identität.

Das Für und Wider priesterloser Gottesdienste wird zweifellos, nach den Endlosdebatten über die Sexualdoktrin und die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, das große Thema der nächsten Zeit werden, im vom Papst ausgerufenen Jahr des Glaubens, und fünfzig Jahre nach Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Unruhe in der Heimat des Papstes wird sich so schnell nicht legen.

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