© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

„Ich kriege das schon hin“
Sinus-Studie: Traditionelle Werte wie Familie und P_ ichtbewußtsein stehen bei vielen Jugendlichen hoch im Kurs
Lion Edler

Für gewöhnlich sagt man es vor allem den Konservativen nach, gern über die „Jugend von heute“ zu schimpfen. Doch nach der in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellten zweiten Sinus-Studie über Milieus und „Lebenswelten“ von Jugendlichen dürften es vor allem Linke sein, die das Ende der Kultur gekommen sehen. Denn politische Korrektheit und Leistungsfeindlichkeit stehen offenbar bei vielen Jugendlichen nicht hoch im Kurs.

Bei 72 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren ist die empirische Basis der Studie allerdings relativ schmal. Eine höhere Repräsentativität strebte man allerdings auch bewußt nicht an, da sich die Leitfrage und der Titel der Untersuchung, „Wie ticken Jugendliche?“, kaum mit Zahlen messen läßt. Die Autoren der Studie, zu deren Auftraggebern unter anderem der Südwestrundfunk, die Bundeszentrale für politische Bildung und mehrere katholische Vereinigungen wie der Bund der Deutschen Katholischen Jugend gehören, setzten lieber auf Interviews und Fotodokumentationen. Themen der Befragung waren vor allem Schule, berufliche Pläne, Politik, Medien und Religion.

Daß die befragten Jugendlichen einen gewachsenen „Leistungsdruck“ erkannt zu haben meinen, wurde in der medialen Berichterstattung über die Studie schnell besonders hervorgehoben. Doch die Studie zeige auch, daß die Jugendlichen trotz dieser Wahrnehmung mit einem „Bewältigungsoptimismus“ in die Zukunft sehen, so einer der Autoren der Studie, der Wirtschaftsingeineur Marc Calmbach. Die Jugendlichen sagten häufig: „Ich werde das mit Fleiß lösen“, oder: „Ich kriege das schon hin.“ An manchen Altersgenossen beklagen die Jugendlichen denn auch mangelnde Leistungsbereitschaft. Häufig äußerten sich Jugendliche etwa kritisch über faule Hartz-IV-Empfänger und „Null-Bock-Ausländer“. So würden manche Jugendliche etwa äußern: „Ich würde die Hartz-IV-Leute, die zu Hause sitzen und keine Lust zum Arbeiten haben, dazu verdonnern, arbeiten zu müssen. Leute aus niedrigem Stand, unterem Stand, die sich verhalten, als wären sie sonstwer. Das sind zum größten Teil Ausländer, die sich so verhalten, als könnten sie alles und die Welt beherrschen.“ Calmbach warf diesen Jugendlichen unlängst „Entsolidarisierung“, eine „Abgrenzung aus der gesellschaftlichen Mitte nach unten“ und Ausgrenzung von „prekären“ Jugendlichen vor. Nur in Ausnahmefällen gäbe es indessen bei „prekären“ Jugendlichen eine pessimistische Sicht auf die Zukunft und das Gefühl von Chancenlosigkeit. Doch selbst hier erkennen die Autoren der Studie eine „Durchbeißermentalität“.

Daneben registriert die Studie, trotz immer unterschiedlicher werdender Milieus, bei fast allen Jugendlichen eine hohe Wertschätzung für traditionelle Werte wie Familie, Sicherheit und Pflichtbewußtsein. Allerdings werde diese Haltung nicht auf traditionelle Weise gelebt, sondern in Form einer Werte-Mischung: „Hart arbeiten und auch hart feiern, Job und zugleich Familie, sparen und sich auch etwas leisten“, so Calmbachs Fazit. Verzicht oder auch nur Abstriche bei einem dieser Ziele kommt offenbar nur für wenige in Frage. Kein Wunder also, daß die Jugendlichen laut Calmbach wahrnehmen, „daß es total schwierig geworden ist, den richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung zu erwischen“. Viele Jugendliche würden sagen: „Na ja, ich muß meine Familienplanung irgendwie am nächsten verfügbaren Job ausrichten.“

Aus den Antworten haben die Autoren der Sinus-Studie sogenannte Lebenswelten zusammengefaßt (siehe Grafik), die sich teilweise überlappen und die von „konservativ-bürgerlich“ über „adaptiv-pragmatisch“ (für Jugendliche, die eher auf Sicherheit Wert legen) bis hin zu expeditiven Lebenswelten (Heranwachsende, die besonders flexibel, mobil und pragmatisch sind) reichen.

Als Konsequenz der Studie forderte die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und Autorin der Studie, Heike Kahl, eine zielgruppenorientiertere Bildungspolitik. Die „Grammatik des Lernens“ müsse endlich geändert und gemeinsamer Lernstoff abgeschafft werden. Wenn man „prekäre Jugendliche“ im Mathematikunterricht mit Mathematik konfrontiere, hörten diese gar nicht hin. Sinnvoller sei es daher, mit diesen in das Berliner Olympiastadion zu gehen und dort Kurvendiskussionen zu veranstalten. Zu der Klage über „Null-Bock-Ausländer“ könnte sich also bald auch die Klage über Null-Bock-Pädagogen gesellen.

www.sinus-institut.de

Foto: Lebenswelten der 14- bis 17jährigen Jugendlichen in Deutschland, wie sie sich die Autoren der Sinus-Studie nach der Auswertung der Antworten vorstellen: Forderung nach einer zielgruppenorientierten Bildungspolitik

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