© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Die Große Koalition als Ziel
Regierungskrise: Hinter den Berliner Kulissen wird längst an einer Alternative zum schwarz-gelben Bündnis gearbeitet
Paul Rosen

Die politische Großwetterlage in Deutschland verändert sich. Die Möglichkeit neuer Konstellationen erscheint am Horizont. Während die FDP mit dem Tode ringt, sammeln die scheinbar aus dem Nichts kommenden Piraten gute Ergebnisse. Zwei Folgen zeigen die vergangenen Wahlergebnisse und die jüngsten Umfragen: Die bürgerliche Koalition aus Union und FDP ist am Ende, weil sie keine regierungsfähige Mehrheit mehr zustande bekommt. Und Rot-Grün wäre zwar eine Alternative, ist aber nicht in der Lage, parlamentarische Mehrheiten zu erringen, weil Linke und Piraten ihnen Sitze wegnehmen und im Moment nicht koalitionsfähig sind. Bleibt nur die Große Koalition der Union mit der SPD. „Und dieses Ziel verfolgt die Regierungschefin mit aller Kraft“, erkannte die Bild-Zeitung.

Es müssen nicht einmal Neuwahlen ausgerufen werden, sondern Merkel kann aus heutiger Perspektive die Ereignisse abwarten. Die FDP zählt schon fast nichts mehr in der Koalition: „Die 14,6 Prozent aus 2009 erscheinen wie aus einer anderen Zeitrechnung“, stellte das Hamburger Abendblatt fest. Wenn es um die großen Linien der Politik geht, arbeitet Merkel ohnehin bereits fest mit Sozialdemokraten und Grünen zusammen.

So sichern SPD und Grüne der Kanzlerin in Fragen der Euro-Rettung die Mehrheit. Und es möge sich niemand über den Charakter des Widerstandes der beiden Oppositionsparteien gegen den „Fiskalpakt“ zur Schuldenbegrenzung in Europa täuschen. SPD und Grüne wollen damit nur etwas länger auf ihrem Steckenpferd „Finanztransaktionssteuer“ reiten, während CDU und CSU den Fiskalpakt brauchen, um ihrer eigenen Klientel das Einhalten von roten Linien vorzugaukeln. Der Bundestags-Haushälter Klaus-Peter Willsch (CDU), einer der wenigen Kritiker im bürgerlichen Lager, seufzte via Bild: „Es ist das alte Muster: Erst werden rote Linien markiert, die dann umstandslos überschritten werden.“

Nach wie vor verwundert es, daß aus den bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP, in denen ein Teil der Mitgliedschaft sich persönlich und beruflich am Prinzip des Soll und Haben orientieren dürfte, kaum Widerstand kommt. Vermutlich wird die Basis von den Abgeordneten bei den sporadischen Besuchen mit immer neuen Durchhalteparolen beruhigt, während die Partei ab der Kreisvorstandsebene bereits von Merkel wie Knetmasse nach Bedarf umgeformt wird.

Mit dem Koalitionspartner FDP geht die Union trotz des Seitensprungs der Liberalen bei der Wahl des Bundespräsidenten Joachim Gauck ins rot-grüne Lager offiziell rücksichtsvoll um. Zwar gibt es immer wieder Berichte über Zerwürfnisse. Es werden Listen mit Konfliktpunkten (Vorratsdatenspeicherung, Frauenquote, Praxisgebühr, Pkw-Maut) herumgereicht, aber zur Explosion gebracht wird offenbar keiner der Sprengsätze. Und der Streit ums Betreuungsgeld wird vornehmlich in der Union geführt. Merkel wird sich hier nicht auf die, wie Gegner sagen, „Herdprämie“ festlegen, sondern nach DDR-Vorbild auf den Ausbau von Kindertagesstätten setzen. Zu den Liberalen heißt es nur: „Wir wollen, daß die FDP zu Kräften kommt“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der ebenso wie seine Chefin bereits genau auf die Lage bei der SPD schaut.

Die Liberalen wiederum versuchen sich zu profilieren, wo es geht. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Wirtschaftsminister und Parteichef Philipp Rösler forderten in einem Brief an Merkel, das steuerliche Ehegattensplitting auf homosexuelle Paare auszuweiten. Ob sich damit viele Wähler für die „schrecklich kleine Familie“ (FAZ) FDP mobilisieren lassen, ist fraglich. Genauso steht es um den Rösler-Vorstoß, die Pendler-Pauschale angesichts der steigenden Benzinkosten zu erhöhen.

Für mehr Wirbel sorgte die FDP-Haltung in der Frage der Transfergesellschaft für die Beschäftigten der zusammengebrochenen Schlecker-Märkte. In den Medien machte das Wort von den „Schlecker-Frauen“ die Runde, was an die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit erinnern und jedem, der die Transfergesellschaft in Frage stellte, den Stempel der Frauenfeindlichkeit aufdrücken sollte. „Im Zweifel gegen die Frauen“, schimpfte die taz. Das Handelsblatt meinte zwar, „die FDP hat richtig entschieden“, aber es sei schwer zu verstehen, warum 71 Millionen Euro Bürgschaften für die Schlecker-Beschäftigten nicht aufzutreiben waren, „aber Milliardenbeträge für die Rettung von Banken ausgegeben werden“. In der Tat ist das ordnungspolitische Sündenregister der deutschen Politiker lang, wenn man an die Rettungsaktionen für solche Banken wie HRE, WestLB, Commerzbank und IKB denkt – von den Euro-Rettungsschirmen ganz zu schweigen.

Die Bürgschaftsgeschichte traf den nordrhein-westfälischen FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner, vom Freitag bereits als „der blonde Retter“ hochgeschrieben. Hans-Ulrich Jörges konnte im Stern kaum noch bei sich halten angesichts der „Lindner Magie“: „Siegt er, ist er die Nummer eins der Partei.“

Foto: Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Röser auf der Regierungsbank im Bundestag: Um den FDP-Chef und seine Partei wird es einsam

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