© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Partei aus Notwehr
Die Piraten mischen unser parlamentarisches System auf und profitieren vom Parteienfrust der Bürger
Karl Feldmeyer

Die Piraten sind da. In den Gewässern der Politik kreuzen sie seit ihrer Gründung im Jahr 2006. Ihr erster spektakulärer Erfolg war der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus vor einem halben Jahr.

Mit dem Saarland haben sie nun das zweite Landesparlament erobert, und inzwischen gelten weitere Erfolge am 6. Mai in Schleswig Holstein und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen als so gut wie ausgemacht. Nach den Erkenntnissen der Demoskopen liegen sie im Bundesdurchschnitt derzeit zwischen sechs und acht Prozent; im „hippen“ Berlin sogar schon bei Werten von etwa 14 Prozent.

Laut einer aktuellen Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa bekunden in Umfragen derzeit sogar 24 Prozent der deutschen Wähler, sie könnten sich durchaus vorstellen, daß sie künftig ihr Kreuz bei den Piraten machen. Sollten sich solche Umfrageergebnisse als stabil und verläßlich erweisen und bei den bis zur Bundestagswahl im September kommenden Jahres noch stattfindenden Landtagswahlen in Niedersachsen und Brandenburg bestätigt werden, dann wird sich die Republik politisch gravierend verändern.

So positiv die Prognosen für die Piraten sind, so negativ sind sie auf der anderen Seite für die Freien Demokraten. Um auch in den nächsten Bundestag zurückkehren zu können, müßte sich die Anhängerschaft der FDP von zur Zeit ein bis zwei Prozent innerhalb eines Jahres mehr als verdoppeln. Ebenfalls unklar erscheinen die Erfolgsaussichten für die Linkspartei sowie für die Grünen, auch wenn von ihrer Rückkehr in den Bundestag auszugehen ist. Die spannendste Frage wird dann, ob die Grünen stark genug aus der Wahl hervorgehen, um mit SPD oder mit der Union eine Mehrheit bilden zu können. Sollte dies nicht der Fall sein, dann bliebe nur eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD; denn daß eine Koalition mit der Linkspartei und mit den Piraten nicht in Betracht kommt, gilt zumindest bisher für beide großen Parteien als ausgemacht.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß die Piraten keine Partei im herkömmlichen Sinne sind, sondern etwas wirklich Neues. Sie wollen weder regieren, noch haben sie sich bislang um eine attraktiv besetzte Parteispitze bemüht, mit der sie gegen die übrigen Parteien antreten könnten; von einem Parteiprogramm ganz zu schweigen. Eine Partei, die sich zwar um Sitze im Parlament bemüht, aber gar nicht ernsthaft daran denkt, regieren zu wollen, ist im System der parlamentarischen Demokratie nicht vorgesehen, ja sie führt dieses System ad absurdum.

Ihre Mitglieder lehnen die in den Parlamenten praktizierte Form der Demokratie ab. Sie fordern Basisdemokratie und eine transparente Gesellschaft mit politischen Strukturen, die gewährleisten, daß Entscheidungen nicht allein von den Mächtigen hinter verschlossenen Türen getroffen werden, sondern unter Beteiligung der Öffentlichkeit fallen. All das aber widerspricht dem wichtigsten Interesse der übrigen Parteien, nämlich einer Konzentration der Macht in ihren Händen.

Was aber hat die meist jungen Mitglieder der Piraten dazu gebracht, sich um Politik zu kümmern? Aleks Lessmann, Geschäftsführer der Piraten in Bayern, hat darauf die vermutlich treffendste Antwort gegeben: „Politiker sind wir aus Notwehr geworden.“

Anlaß dazu war für die meist jüngeren Leute, die im Internet zu Hause sind, die Absicht der Parteien, massiv in ihre elektronische Welt einzugreifen und ihre unbeschränkte Bewegungsfreiheit im Netz zu beenden. Die Nachricht, die Politik beabsichtige, ihnen durch ein Urheberrechtsabkommen, kurz Acta genannt, den freien und kostenlosen Zugang zu Filmen, Musik und Informationen im Internet zu nehmen, beflügelte den Aufstieg der Piraten aufs neue, die den Widerstand gegen dieses Gesetz zu ihrer Sache machten.

Damit waren sie nicht nur erfolgreich. Es scharten sich Zigtausende um die Neu-Partei, die sich bis dato nicht sonderlich für Politik, sondern für die Welt der elektronischen Medien interessiert hatten. Was die Piraten dabei entdeckten, war die geschlossene Gesellschaft des politischen Establishments und damit ihr eigentliches Erfolgsthema, jenseits des Streits um die Freiheit im Internet. So wurden die Piraten zur neuen Protestpartei schlechthin.

Protestparteien können ebenso schnell verschwinden, wie sie hochkommen. Voraussetzung dafür ist aber in der Regel, daß die Verhältnisse, die den Protest bewirken, korrigiert werden. Diese Mißstände aber liegen in der Entfremdung eines Großteils der Bürger von der politischen Klasse, von dem, was sie will – und was dem Willen des Wahlvolkes oft entgegensteht.

Vor allem aber verbittert die Wahlberechtigten (die deswegen häufig als Nichtwähler in Erscheinung treten) der autokratische Stil dieser Parteienherrschaft. Das wichtigste Beispiel für dieses Phänomen ist der Euro. Die große Mehrheit war gegen seine Einführung, so wie sie heute die Milliarden-Bürgschaften ablehnen.

Die Politiker wissen das, und sie ignorieren es. Keine einzige Partei im Bundestag (die Linkspartei als Sonderfall einmal ausgenommen) lehnt die Euro-Politik ab. Die Geschlossenheit, mit der die Fraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen sich mit ihren Beschlüssen für milliardenschwere „Rettungspakete“ über den Wählerwillen hinwegsetzen, erinnert an das Verhalten gleichgeschalteter Parlamente in totalitären Systemen und Staaten.

Diese Form von „Demokratie“ ist ein triftiger Grund dafür, daß sich die Piraten berechtigte Hoffnung machen können, mehr als eine politische Eintagsfliege zu werden.

 

Karl Feldmeyer war Parlamentskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Bonn und Berlin.

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