© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Haltungsnote
Radikaler Bühnendenker
Christian Schwiesselmann

Leere Ränge, eingeschlafene Füße, es duftet nach Rheumacreme – ein Blick vor die Kulissen der deutschen Theaterzunft. Gottseidank ventilierte der neue Intendant des Münchner Residenztheaters in der Süddeutschen Zeitung kürzlich eine spritzige Idee, wie Pepp in die verstaubte Bude kommt: Mehr Migranten lautet der völlig verblüffende Vorschlag von Martin Kušej. Wo jeder fünfte Einwohner ausländische Wurzeln habe, reiche es nicht aus, die Spielpläne mit Stücken über Migration und Ausländerfeindlichkeit zu füllen; es müßten auch mehr Schauspieler mit Migrationshintergrund auf den Brettern stehen. Der Vorteil aus Sicht des Österreichers mit dem slowenischen Einschlag: Interkulturelles Theater hat einen schmerzhaften, aber großen Lerneffekt. So verändere sich in der Zusammenarbeit mit Ausländern der Blick auf die Gesellschaft, auf die Anschauungen und Arbeitsweisen.

Das könne zwar nicht immer harmonisch und friedlich ablaufen, doch gerade solche schmerzlichen Erfahrungen seien wertvoll, weil sie einen starken Willen zur Überprüfung der eigenen Gewohnheiten voraussetzen würden. Der 1961 geborene Südkärntner, der an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz Theaterregie studierte und an verschiedenen Häusern in Österreich und Slowenien als Regisseur assistierte, sollte vor allem die eigenen Gewohnheiten überprüfen. Vom Spiegel-Kritikaster Georg Diez als „radikaler Bühnendenker“ verklärt, könnte sich der frühere österreichische Bundesligahandballspieler selbst als bester „Saalräumer“ etablieren. Wer „Theatertexte und Opernlibretti so sehr gegen ihre Zeit liest, daß sie in der Negation Sinn machen“, kann von einem an alle Verhunzungen und Schweinereien gewöhnten großstädischen Publikum nur müdes Gähnen ernten.

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