© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Eine Justiz der Schattenwelt
Joachim Wagner über eine Paralleljustiz, die sich bei uns im vorwiegend islamischen Milieu ausbreitet
Fabian Schmidt-Ahmad

Wie fremd den Deutschen die islamische Lebenswelt ist, zeigt ein Ausspruch des damaligen Integrationsministers von Nord-rhein-Westfalen, Armin Laschet, der 2007 behauptete, in Deutschland gäbe es keine islamischen Parallelgesellschaften. Denn das würde schließlich heißen, es gäbe eine Welt, aus der man sich nicht herausbewege „und die im schlimmsten Fall sogar ein eigenes Rechtssystem hat, wo der Staat nicht mehr eingreift“. Derartige Ansätze könne er aber in Deutschland nicht erkennen.

Heute vertreibt sich der CDU-Politiker die Zeit mit Ermahnungen und guten Ratschlägen. „Mangelndes Mitgefühl“ mit den Opfern einer mutmaßlichen Neonazi-Terrorgruppe attestierte er den Deutschen. „Der Trauerakt bietet die Chance, jetzt zu einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl aller in Deutschland Lebenden zu finden.“ Vielleicht könnte sich allerdings eine bestimmte Gruppe der „in Deutschland Lebenden“, wo der Staat in der Tat „nicht mehr eingreift“, dieser Vision versperren.

Dem renommierten Fernsehjournalisten Joachim Wagner ist es gelungen, mit „Richter ohne Gesetz“ ein überaus lesenswertes Buch vorzulegen, welches einen Einblick in die sonst verborgene, islamische Paralleljustiz vermittelt. Denn daß es eine solche Schattenwelt gibt, steht außer Frage. „Die Schlichtung im Hintergrund von Strafverfahren ist in muslimisch geprägten Regionen und Stadtvierteln weit verbreitet.“ Doch war bisher selbst für die Beteiligten schwer abzuschätzen, wie umfassend diese Paralleljustiz tatsächlich angewendet wird.

Der Grund liegt nicht zuletzt im deutschen Rechtswesen selbst, welches Betroffenen durchaus die Möglichkeit bietet, Streitigkeiten „unter sich“ beilegen zu können. In dieser vom Gesetzgeber bewußt offengehaltenen Lücke hat sich ganz automatisch durch die islamische Masseneinwanderung auch deren tradiertes Recht, die Scharia, etabliert. Von dieser Keimzelle aus erodiert sie Stück für Stück den deutschen Rechtsstaat. Denn anders als dieser, in dessen Zentrum die Unverletzlichkeit des einzelnen steht, kennt die Scharia keine Selbstbeschränkung.

„In der islamischen Strafrechtstradition stehen das Herstellen und das Bewahren des Rechtsfriedens im Vordergrund“, erläutert der promovierte Jurist Wagner. „Das hat, wenn es um den Kern der islamischen Gesellschaft geht, durch eine Pflicht zum Strafen zu geschehen.“ Das ist beispielsweise bei unerlaubtem Geschlechtsverkehr oder Abkehr vom Islam der Fall. Bei Körperverletzung, selbst bei Mord, ist dagegen auch eine Kompensation möglich. „Alle Verletzungen, ja sogar Tötungen, können durch finanzielle Wiedergutmachung ausgeglichen werden.“

Wäre das vielleicht ein radikaler Ansatz, den notorisch überlasteten Gerichten in Deutschland wieder Luft zu verschaffen? Auch die ersten Deutschen konnten bereits ihre Erfahrungen sammeln. So ein Familienvater aus Essen, dessen Kind auf dem Spielplatz mit einem kurdischen Kind aneinandergeriet. Der kurdische Vater trat daraufhin die Wohnungstür ein, wohl unterstützt von hinzueilenden Libanesen. Nach Vermittlung durch einen Sozialarbeiter und der Polizei entschuldigte sich der Kurde und ersetzte die demolierte Tür. Im Gegenzug verzichtete der Deutsche auf eine Strafanzeige.

Selbst als Streitschlichter sind Deutsche bereits aufgetreten. So berichtet Wagner von einer bisher unbekannten Anekdote aus dem Arbeitsleben des damaligen niedersächsischen Justizministers Christian Pfeiffer (SPD). Eine junge Türkin hatte heimlich einen Hindu geheiratet und wurde daraufhin von ihrer Familie bedroht. Pfeiffer ließ nun „bei einem Telefongespräch der Tochter mit ihren Eltern ein Tonband mitlaufen. Die Eltern wiederholten die Todesdrohung und nannten sogar schon eine Person, die diese Tat ausführen sollte.“ Mit diesem Tonband als Faustpfand und dem türkischen Konsul als Unterstützung glückte Niedersachsens oberstem Juristen der Ausgleich, die Familie akzeptierte den Schwiegersohn.

Ist das also vielleicht eine Alternative zu unserem schwerfälligen Rechtsstaat? Kein zähflüssiger Justizapparat, sondern Menschen, die kreativ die Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft bewältigen? Gewissermaßen eine Praxis des kommunikativen Handelns? Derartigen Traumtänzereien muß Wagner eine Abfuhr erteilen. Fast immer fielen die von ihm untersuchten Konsensfindungen zuungunsten der schwächeren Sippe aus. Schlechte Nachrichten also für die deutschen Einzelkindfamilien, denen wachsende Großsippen aus dem islamischen Raum gegenüberstehen.

Schlußendlich stellt die Scharia nur ein überformtes Faustrecht dar. Die Konsensfindung, die bei ihr im Vordergrund steht, ist unschwer als der Versuch zu erkennen, die Gewalt zwischen rivalisierenden Stämmen zu kanalisieren und auf ein Minimum zu beschränken. An der Gewalt selbst ändert sie ebensowenig etwas, wie sie die tribalen Strukturen in Frage stellt. Wer sie daher „in Teilen“ legalisieren will, wie bereits heute der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Jochen Hartloff (SPD), fordert, oder sich ihren Regeln beugt, wie sein Amtskollege Pfeiffer, der akzeptiert Gewalt als zivile Austragungsform von Konflikten.

Diese Entwicklung bekommen derzeit vor allem diejenigen zu spüren, die zur Verteidigung des alten Rechtsstaates angehalten sind – die Polizei. Wagner berichtet von Beamten, auf die ein Kopfgeld ausgelobt, deren Polizeireviere belagert, die sogar bis ins Privatleben hinein verfolgt wurden. „Wir kommen mit diesen Menschen nicht klar. Sie wollen uns nicht verstehen, sie sind zu sehr der eigenen Kultur verhaftet“, gibt Wagner die Erfahrung eines Polizeichefs wider. Der „schlimmste Fall“, in dem eine Parallelgesellschaft „sogar ein eigenes Rechtssystem hat, wo der Staat nicht mehr eingreift“ – er ist in Deutschland schon Realität.

Joachim Wagner: Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat. Econ Verlag, Berlin 2011,  gebunden, 240 Seiten, 18 Euro

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