© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Das letzte Fauchen des Löwen
Krieg vor den Toren der Antarktis: Vor dreißig Jahren entbrannte der absurde Krieg um die Falklandinseln zwischen Großbritannien und Argentinien
Dirk Wolffsimon

Am 15. Juni 1982 endet zwischen dem Vereinigten Königreich und Argentinien der Krieg um die Falklandinseln – zwei Tage nachdem die Fußballweltmeisterschaft in Spanien angepfiffen wurde, wo die beiden fußballverrückten Länder glücklicherweise nicht aufeinanderstoßen sollten. Es war ein absurdes Blutvergießen, das der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges treffend mit einem „Streit von zwei Glatzköpfen um einen Kamm“ verglich.

Als die politischen Spannungen um das aus zwei großen und 700 kleineren und kleinsten Inseln bestehende Archipel im Südatlantik, das etwa 8.000 Seemeilen (14.800 Kilometer) vom britischen Mutterland entfernt liegt, ihren Siedepunkt erreichten, war selbst für viele Briten unklar, wo der Casus belli geographisch überhaupt liegt. Seit der Annexion der Inseln durch die Briten im Jahr 1833 hat im Laufe der Jahrzehnte Argentinien seinen Souveränitätsanspruch auf die „Malvinas“ nicht aufgegeben. London selbst war nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Zuge der Trennung von kostspieligen Reminiszenzen an vergangene Empirezeiten durchaus geneigt, den Souveränitätskonflikt im Sinne einer „Hongkong-Lösung“ zu regeln, doch Anfang der achtziger Jahre heizte sich der Souveränitätsstreit bedrohlich auf.

Die Militärjunta, die unter General Leopoldo Galtieri inzwischen in Buenos Aires regierte, war mit immensen wirtschaftlichen Problemen und innenpolitischen Spannungen konfrontiert. Was lag also näher, als dem rapiden Popularitätsverfall mit einem außenpolitischen Paukenschlag zu kompensieren? Die konservative Regierung unter Margaret Thatcher unterschätzte zunächst die Vorzeichen des sich zusammenbrauenden Unheils. Zwar waren dem britischen Verteidigungsministerium aus Geheimdienstkreisen bereits Pläne für einen argentinischen Großangriff auf die Inselgruppe aus dem Jahr 1976 in die Hände gefallen, jedoch hielt Außenminister Peter Baron Carrington eine konkrete Bedrohungslage für abwegig.

Aus der Überschätzung der eigenen militärischen Stärke und der Fehleinschätzung der britischen Position entschließt sich General Galtieri Anfang 1982 zum Losschlagen. Am 25. März 1982 landen argentinische Marineinfanteristen auf Südgeorgien, das etwa 700 Seemeilen östlich der beiden Hauptinseln liegt. Zwischen Buenos Aires und London laufen die diplomatischen Drähte heiß, aber auf argentinischer Seite gehen die militärischen Vorbereitungen für die eigentliche Invasion unvermindert weiter. Eine Kampfeinheit bestehend aus mehreren Zerstörern und dem Flugzeugträger Veinticinco de Mayo wird am 29. März 1982 von der argentinischen Marinebasis Puerto Belgrano in Marsch gesetzt. Hastig vorangetriebene Vermittlungsbemühungen der US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan scheitern.

Bereits wenige Tage später landen am 2. April 1982 argentinische Spezialeinheiten auf den beiden Hauptinseln. Um Port Stanley kommt es zu heftigen Gefechten mit den 86 dort stationierten Royal Marines. Angesichts der Aussichtslosigkeit des weiteren Widerstandes entschließt sich Gouverneur Rex Hunt zur Kapitulation – der Union Jack wird nach fast 150 Jahren über Port Stanley eingeholt. Obgleich die britische Premierministerin Margaret Thatcher angesichts von drei Millionen Arbeitslosen und einer Popularität, die im Keller liegt, selbst unter erheblichem innenpolitischem Druck steht, zeigt sie einen unbeugsamen Willen zum Widerstand: Mit der „Operation Corporate“ werden mit einer aus 36 Kriegsschiffen und 67 Begleitschiffen bestehenden  Armada binnen weniger Wochen fast 29.000 Soldaten zu den 14.800 Kilometer entfernten Inseln in Marsch gesetzt. Damit punktet sie außenpolitisch nicht allein bei den patriotischen Briten ähnlich wie Galtieri bei den Argentiniern.

Die Briten sind dabei nicht nur vor immense logistische Herausforderungen gestellt, sondern müssen bereits zum Verkauf vorgesehene Flugzeugträger für den Atlantikeinsatz reaktivieren. Um Soldaten und Kriegsmaterial über die gewaltige Distanz transportieren zu können, wird zusätzlicher Schiffsraum bei zivilen Passagier- und Transportschiffen requiriert. Selbst das größte britische Passagierschiff, die Queen Elizabeth II. wird in die Mobilisierung einbezogen. Kriegsentscheidend wirkt sich die Nutzung der kleinen tropischen Insel Ascension im Südatlantik zwischen Afrika und Südamerika aus, wo die US-Luftwaffe seit 1941 einen Stützpunkt betreibt, der zur wichtigen Transport- und Truppenverlegungsdrehscheibe während des 16tägigen Aufmarsches und der Operation des Flottenverbandes in den folgenden Wochen wird.   

Am 7. April erklärt Großbritannien eine 200-Meilen-Zone um die Falklandinseln zum Sperrgebiet. Nachdem durch britische Bombenangriffe der Flugplatz von Port Stanley für argentinische Flugzeuge nicht mehr genutzt werden kann, sind die argentinischen Étendards und Skyhawks nunmehr gezwungen, vom 600 Kilometer entfernten argentinischen Festland aus zu operieren, wodurch sie in ihrer Reichweite drastisch eingeschränkt sind.

Ohne nennenswerten Widerstand wird Südgeorgien schon am 25. April zurückerobert. Wenige Tage später beginnt der Konflikt zu eskalieren. Am 2. Mai wird der noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammende, aber modernisierte argentinische Leichte Kreuzer General Belgrano, durch Torpedos des Atom-U-Bootes HMS Conqueror außerhalb der Ausschlußzone versenkt – 323 Besatzungsmitglieder finden den Tod. London muß sich den Vorwurf gefallen lassen, hierbei unverhältnismäßig gehandelt zu haben, da die Belgrano außerhalb der Ausschlußzone operierte und erklärtermaßen keine Angriffsabsichten hegte.

Nach den inzwischen zugänglichen Akten muß das Bild jedoch korrigiert werden: Obgleich das Schiff als veraltet galt, war es bei der Modernisierung unter anderem mit niederländischen Radaranlagen und französischen Exocet-Rakten bewaffnet worden, die eine potentielle Bedrohung für die britischen Schiffe darstellte. Zum anderen drehte die Belgrano keinesfalls, wie von argentinischer Seite behauptet wurde, zum Festland ab, sondern folgte einer Weisung, sich mit anderen Schiffen den britischen Invansionseinheiten zu nähern und sie praktisch aus einer Zangenbewegung heraus anzugreifen.

Für die Argentinier ist die Versenkung ein gewaltiger Schock. Aus der Furcht vor weiteren Verlusten werden die Flotteneinheiten umgehend in argentinische Küstengewässer zurückbeordert. Für Angriffe auf britische Schiffe stehen nunmehr nur noch Kampfflugzeuge zur Verfügung. Daß die argentinische Luftwaffe nicht zu unterschätzen war, spüren die Briten bereits zwei Tage nach der Versenkung der Belgrano, als zwei COAN-Super Étendards der argentinischen Marineflieger, die jeweils mit einer Exocet-Rakete bewaffnet sind, den Zerstörer HMS Sheffield durch die mittelbare Folge eines Raketentreffers in Brand schossen; zwanzig britische Seeleute sterben.

Am 21. Mai wird die Rückeroberung der Hauptinseln mit einer amphibischen Landung bei Port San Carlos an der Nordküste Ostfalklands eingeleitet. Trotz der permanenten argentinschen Luftangriffe gelingt es den Briten, 3.000 Soldaten und 1.000 Tonnen Material anzulanden und den Brückenkopf zu sichern. Am 23. Mai sinkt die HMS Antelope nach einem Bombentreffer und zwei Tage später nach dem Treffer einer Exocet-Rakete das Containerschiff Atlantic Conveyor mit wichtigen Versorgungsgütern und den für den Vormarsch notwendigen Hubschraubern. Neben den Verlusten an Schiffsraum kosten die argentinischen Luftangriffe 56 britische Soldaten das Leben. Die Argentinier verlieren in diesen fünf Tagen allerdings insgesamt 34 Kampfflugzeuge – fast ein Drittel ihrer Kapazitäten.

Trotz der gewaltigen argentinischen Übermacht und der logistischen Beeinträchtigungen geht der Vormarsch auf die Inselhauptstadt zügig voran. Die argentinischen Truppen, die größtenteils aus unerfahrenen Wehrpflichtigen aus dem Norden Argentiniens bestehen, schlecht ausgerüstet und versorgt sind, leisten angesichts der heftigen britischen Luftangriffe und des Artilleriebeschusses keinen nennenswerten Widerstand. Am 14. Juni unterzeichnen der argentinische Gouverneur der Malvinas, General Mario Menéndez, und der Kommandeur der britischen Landstreitkräfte auf den Falklandinseln, Generalmajor Jeremy Moore, die „bedingungslose Kapitulation“.

Der kurze und groteske Krieg kostet 253 Briten (darunter 18 Zivilpersonen) und 655 argentinischen Soldaten das Leben. Auf argentinischer Seite gehen 11.848 unverwundete Soldaten für wenige Tage in britische Kriegsgefangenschaft, aus der sie relativ schnell repatriiert werden. Für Großbritannien liegen die Kriegskosten bei rund 2,5 Milliarden Pfund, inklusive des Verlustes von zwei Zerstörern (HMS Sheffield, HMS Coventry), zwei Fregatten (HMS Ardent, HMS Antelope), einem Landungsschiff (RFA Sir Galahad), einem Containerschiff (Atlantic Conveyor), weiteren kleineren Schiffskapazitäten, zehn Harrier-Kampfflugzeugen und 24 Hubschraubern. Die argentinischen Kriegskosten lassen sich nicht verläßlich ermitteln.

Obgleich sich die Beziehungen zwischen den ehemaligen Kontrahenten seit 1982 wieder normalisiert hatten, nahm der Streit inzwischen wieder an Schärfe zu. Innenpolitisch steht Präsidentin Christina Kirchner wirtschaftlich unter Druck, und so bietet es sich wieder einmal an, gezielt die nationalistische Karte zu spielen. Begünstigt wird dies vor allem auch durch die verstärkten Explorationsbohrungen des britischen Ölunternehmens Rockhopper Exploration rund um die Falklandinseln. Auf Initiative Argentiniens haben die Staatspräsidenten der südamerikanischen Handelsunion Mercosur auf ihrem jüngsten Gipfel in Montevideo Mitte Dezember letzten Jahres beschlossen, mit sofortiger Wirkung ihre Häfen für Schiffe unter der Falkland-Flagge zu sperren. Mit dieser Sanktionsmaßnahme zielt Buenos Aires auch auf den Verkauf von Fischfanglizenzen für die 200-Meilen-Zone rund um die Inseln, die pro Jahr bis zu 30 Millionen Pfund in die Regierungskasse in Westminster spülen. Militärisch treibt das südamerikanische Land mit brasilianischer Unterstützung mit Hochdruck die Modernisierung seiner Streitkräfte voran. Militärexperten warnen bereits davor, daß sich die argentinischen Rüstungsanstrengungen erneut in einem militärischen Konflikt gegenüber Großbritannien entladen könnten.

Für London käme eine weitere Verschärfung der Sicherheitslage um die Falklandinseln zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Aus Gründen der Haushaltsdisziplin und zum Abbau der Staatsschulden hat die britische Regierung unter Premier David Cameron drastische Einschnitte beschlossen, wovon vor allem das Verteidigungsbudget betroffen ist. Und so liegt der Falkland-Veteran General Sir Mike Jackson nicht allzu falsch, wenn er prognostiziert, daß es der 1982 noch drittgrößten Seemacht heute unmöglich sein dürfte, die Inseln erneut von Argentinien zurückzuerobern. So besitzt das Vereinigte Königreich heute nur noch 25 Fregatten und mit der HMS „Illustrious“ nur noch einen einzigen Hubschrauberträger. Einzig die sechswöchige Entsendung Prinz Williams, des künftigen Thronfolgers und Enkels von Königin Elisabeth II., hat derzeit noch letztes imperiales Format.

Foto: Argentinier entwaffnen britische Marineinfanteristen in Port Stanley, 2. April 1982: Alte Ansprüche 

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