© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Entzückt von Zuchthengst und Hühnerhund
Hofmaler der Pferdenarren: Gemälde des Engländers George Stubbs in der Neuen Pinakothek in München
Sebastian Hennig

Der englische Maler George Stubbs (1724–1806) durchlief kein akademisches Studium und hatte auch keinen Meister seiner Kunst zum Lehrer. „Nature was his only study and experience his master“, charakterisiert ein früher Biograph die Entwicklung des Künstlers. Er sollte den Handwerksbetrieb seines Vaters im heimischen Liverpool weiterführen und versicherte sich nur der gröbsten Fundamente der Malerei bei einem lokalen Praktiker der bildenden Kunst.

Daß er malend und zeichnend bis zu den empfindlichsten Leidenschaften der Erlauchten unter seinen Zeitgenossen vordrang, überhob ihn später jeder Rechtfertigung vor den Geschmacksrichtern und Jurys. Dem unklassischen Wesen seiner späteren Gemälde verdankt sich ihre zeitlose Eleganz. Noch – oder gerade heute – bezaubern uns diese Tierporträts. Freilich spricht sich auch der vergangene Zeitgeist darin aus. Aber das geschieht diskret, unbewußt beiläufig.

Stubbs ist paradoxerweise ein Modemaler, der der Mode nicht verfiel, weil diese bei ihm nicht die Methode beherrscht, sondern nur das Objekt der Darstellung bestimmt. Ohne eigentlich naiv zu sein, erhält sich der erfahrene Maler seine Unbefangenheit gegenüber seinem Motiv. Zwischen dem schnittigen, hochgefederten Phaeton des Prince of Wales und den nervigen schwarzen Vollblütern steht der dickleibige Kutscher Samuel Thomas in Livree mit dem hemdsärmligen Groom. Wie beide Figuren in kaum verhohlener Kreatürlichkeit zu den majestätischen Tierleibern und edlem Gerät kontrastieren, vermag uns heute besonders zu rühren. Die Bilder bezeugen die kindliche Spielfreude der Hoheiten, die mit den Vorlieben für überspannte Züchtungen und Geschwindigkeitssucht, dem heutigen Kult um motorisierte Sportwagen in nichts nachsteht. Das Vorweisen der Statussymbole war die Aufgabe dieser Gemälde.

Bevor Stubbs in der High Society reüssierte, versuchte sich der Handwerkersohn zunächst als Bildnismaler nützlich zu erweisen. Kostümierten Snobs einen schönfarbigen Spiegel vorzuhalten, wird ihn nicht dauerhaft befriedigt haben. Das Renaissance-Zeitalter, als nicht pomadisierte Gecken, sondern nackte Menschen im Mittelpunkt der Wahrnehmung standen, lag lange zurück. Jene Zeit, da Leonardos Neugier an der Oberfläche nackter Haut nicht stehenblieb und mit dem Seziermesser weiter vordrang.

Die Aufklärung dagegen zeigte sich im Innersten desillusioniert über den Menschen und erbaute sich am Ideal und an der Natur, dem Tier. Der misanthropische Sportsmann wird der Adressat des Malers, der wie Hamlet keine Lust mehr am Weib und am Mann hat, dafür aber um so mehr von Zuchthengst und Hühnerhund entzückt ist. Eine empirisch-wissenschaftliche Methodik wurde dem Maler nahegelegt durch den Umgang mit Medizinern und Wissenschaftlern. Für ein Traktat zur Geburtshilfe steuerte er Kupfertafeln bei, denen die Anschauung der Sektion eines weiblichen Leichnams zugrunde lag. Eine Italienreise ließ den Maler völlig kalt. Wenn ihn die Zeugnisse der alten Kunst nicht berührten, so erfüllte sich doch die eigentliche Bestimmung solcher Exkursionen: die Erkenntnis des Eigenen im Durchzug durch das Fremde.

Gestärkt im Bewußtsein seiner Möglichkeiten und Neigungen zog er sich anderthalb Jahre in ländliche Abgeschiedenheit zurück. Dort studierte er die Anatomie des Pferdes auf das allerbestimmteste. Jedes Faserchen des Pferdeleibes hat er auspräpariert und untersucht.1766 veröffentlicht er zwei Bände „The Anatomy of the Horse“. Nach Art der wissenschaftlichen Werke der Zeit stehen den schriftlichen Erläuterungen 18 ganzseitige Abbildungen gegenüber. Auf den Radierungen steht jeweils ein Diagramm als Linienätzung einer plastischen Darstellung gegenüber.

Gerüstet mit unübertroffener Kenntnis und der Referenz Verfasser eines Standardwerks über den Gegenstand zu sein, begann sein Aufstieg als Tiermaler. Seine populären Bildschöpfungen wurden in meisterlichen Graphiken weiterverbreitet. Einige Einzelblätter und Serien sind ausgestellt, darunter sieben Mezzotinten von Benjamin Green mit virtuosen Tonwertverläufen, die in ihrer Zartheit Aquarellen entsprechen. Noch raffinierter ist John Dixons „Tigerin“, deren brillante Fellzeichnung beispielhaft ist für die handwerkliche Höhe der Druckgraphik jener Jahre.

Der Meister war auch selber als Radierer tätig und verschaffte seinen Bildthemen mit dieser Vervielfältigung einen weiten Verbreitungsgrad, entwickelte aber auch Graphiken von eigenständiger Bildgewalt. Er war zuweilen bestrebt, eine gewisse Dramatik zu erzielen, um der Tiermalerei das Gewicht einer großen und freien Kunst zu verleihen. Das Bild des Jagdgeparden mit indischen Wärtern zeugt davon. Der Gouverneur von Madras, George Pigot, beauftragte es als Geschenk für Georg III. Wenn die Maria mit dem Knaben in der Malerei des Giotto auf dem Eselsrücken nach Ägypten flieht, dann ist der Graue ein Medium, das fast vom Hintergrund des Bildes verschluckt wird, dagegen treten die menschlichen Figuren strahlend aus dem Bildgrund hervor.

Ein halbes Jahrtausend später bei Stubbs ist es umgekehrt. Auf dem Großformat „Stuten und Fohlen“ sind nur die Pferde zu sehen, nicht die Menschen, die an ihnen geformt und gepflegt haben, nicht die Landschaft. Ein Raum wird nur, wo die Hufe den Boden berühren, durch zarte Schatten angedeutet. Auf den Bildern, wo Landschaft und Wolkenhimmel vorhanden sind, bleiben sie konventionelles Dekor.

In München findet eine seltene Zusammenführung, der an vielen verschiedenen Standorten zumeist noch in aristokratischem Privatbesitz befindlichen Gemälde statt. Die Gemälde sind eingerahmt von der englischen Malerei aus dem Bestand der Pinakothek: flatterhafte Bildnisse Gainsboroughs, Reynolds zugeknöpfte Kapitäne und Jäger, die Ostende-Landschaft von Turner. Der Kurfürst und spätere König Max Joseph brachte 1800 aus England das bis heute einzige Stubbs-Bild nach Deutschland: „Spanish Pointer“ (1766). Wohl überhaupt das erste Gemälde des Künstlers, das die Insel verlassen hat. Ein umfangreicher Bildband begleitet die Ausstellung.

Die Ausstellung „George Stubbs. Die Schönheit der Tiere“ ist bis zum 6. Mai in der Münchner Neuen Pinakothek, Barer Straße 29, täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro, der Katalog mit 240 Seiten 32 Euro im Museum. Telefon: 089 / 2 38 05-195

 www.pinakothek.de

Fotos: George Stubbs, Stuten und Fohlen (Öl auf Leinwand, 1762): Menschen und Landschaft fehlen, ein Raum wird nur, wo die Hufe den Boden berühren, durch zarte Schatten angedeutet; George Stubbs, Der Phaeton des Prinzen von Wales mit dem Kutscher Samuel Thomas (Öl auf Leinwand, 1793): Kreatürlichkeit

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen