© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Pankraz,
Antonio Gramsci und der stehende Geist

Pankraz möchte doch noch einmal auf die Affäre „Spiegel kontra Christian Kracht“ zurückkommen, weil sich an ihr offenbar eine Art Paradigmenwandel ablesen läßt, nämlich eine Neuordnung der Meinungen und Verhaltensregeln im linken Kulturbetrieb. Der Fall ist über die beteiligten Personen hinaus bemerkenswert, vielleicht sogar wichtig.

Der Leser erinnert sich: Der Spiegel-Autor Georg Diez hatte anläßlich des Erscheinens von Krachts neuem Roman „Imperium“ Kracht selbst in rüdester und ausführlichster Weise als einen „Türöffner rechten Gedankenguts“ niedergedonnert und denunziert – und glaubte danach wohl, das Seine getan und Kracht endgültig in den Orkus der ewigen Verdammnis hinabgestoßen zu haben. Aber verdammt wurde nicht Kracht, sondern Diez. Faktisch sämtliche kurrenten Größen des Kulturbetriebs äußerten sich empört über den Spiegel-Schreiber. Nicht dieser, sondern Kracht war der Held der Stunde.

Plötzlich funktionieren die Stränge der Befehlsausgabe zwischen oben und unter nicht mehr. Bisher hätte noch jeder zugelassene Kulturteilnehmer sofort gekuscht, eben seiner eigenen Zugelassenheit wegen. Die Parole „Der Geist steht links“ galt als selbstverständliches, im Bedarfsfalle jederzeit abrufbares Glaubensbekenntnis; wer es verweigerte, war out, tot, taugte nicht einmal mehr zur Ablage. Und was „links“ jeweils zu bedeuten hatte, darüber entschieden nicht die Schriftsteller und Künstler selbst, sondern irgendwelche Politiker und Ideologen in fernen Parteizentralen oder Redaktionen.

Zunächst saßen die Parolenausgeber unübersehbar im Zentralkomitee der russischen Bolschewiken in Moskau, was der Sache einen etwas störenden, weil allzu proletarischen Odeur verlieh. Die Geistesarbeiter wurden da gänzlich ungeniert, gewissermaßen par ordre de mufti, aufgefordert, sich zu „antifaschistischen Kampfgemeinschaften (Antifa)“ zusammenzuschließem, im Stile des „Sozialistischen Realismus“ zu schreiben oder zu malen und sich zu einer littérature engagée zu bekennen. Dergleichen durchzusetzen, war nur möglich, wenn man man schon über die volle politische Macht verfügte.

Im Westen war das nicht der Fall, und so mußte man sich subtilere Methoden einfallen lassen. Antonio Gramsci (1891–1937), der Großideologe der italienischen KP, ein buckliger Zwerg mit einem ewigen Kindergesicht, erfand die Theorie von der „kulturellen Hegemonie“ – und erwies sich  damit als ein fast genialer Vorwegnehmer unseres heutigen medialen Zeitalters. Entscheidend für den Sieg im Klassenkampf, so lehrte er, sei die Besetzung der „Schaltstellen“ in den großen Zeitungen und Radiosendern mit eigenen Leuten. Darauf müsse sich alle „fortschrittliche“ Politik konzentrieren.

Gesagt, getan. Der Erfolg der neuen Taktik war stupend. In Lektoraten und Dramaturgien, in Preiskomitees und Stipendien-Vergabestellen machten sich nun immer mehr deklarierte Linke breit, bildeten Seilschaften und Netzwerke, schlossen „Abweichler“ von vornherein aus dem „Diskurs“ aus, indoktrinierten Neuankömmlinge, entmutigten Manuskripteinsender und Stipendienbewerber, die nicht die richtige Couleur hatten. Die Behauptung „Der Geist steht links“ war von Anfang an keine Tatsachenbehauptung, sondern ein drohendes Postulat, hinter dem ein dickes Ausrufezeichen stand.

„Der Geist steht links!“ Das bedeutete für den literarischen Debütanten: „Wenn du dich nicht unserer Ideologie anbequemst, wirst du keine Chance erhalten hochzukommen.“ Besonders wirkungsvoll war die Drohung, wenn sie in gleichsam „bürgerlicher“ Verpackung einherkam, von einem scheinbar unabhängigen Kritiker in irgendeinem hochbürgerlichen Feuilleton geäußert wurde, der natürlich sehr wohl zur Clique dazugehörte und der die Formel in einen koketten Seufzer kleidete: „Der Geist steht nun einmal links.“

Nun können Zensoren zwar niederhalten und entmutigen, aber sie können nicht selbst eine Literatur von einiger Bedeutung schaffen. So ziehen denn notwendig Langeweile und Konformismus in die Bücher- und Fernsehspielwelt ein. Die Autoren gerieren sich entweder als forsche Kritiker der immer gleichen Sache, die sie – wie sie genau wissen – nicht verteidigen dürfen, auch mit kleinsten Modulationen und Einwänden nicht, oder sie flüchten in Unverbindlichkeit und Belanglosigkeit, in Nabelschau und geistiges Kleinrentnertum. Ein einziger Gang über die Buchmesse genügt, um die Kalamität voll zu erkennen und unter ihr zu leiden.

Lange kann so etwas wohl nicht mehr gutgehen; die Spiegel-Kracht-Affäre hat ein grelles Schlaglicht  auf die Szene geworfen. Anspruchsvollere Geister, welcher Couleur auch immer, sind der ewigen Denunziererei und PC-Hervorkehrerei bis zum Erbrechen überdrüssig, zumal der von den „führenden“ Medien demonstierte Konformismus geradezu kriminelle Dimensionen angenommen hat. Alles ist mit Tabus und halboffiziell-hinterhältigen Zwangsregeln umstellt. Es gibt im Bereich des Zugelassenen keine ernsthaften Kontroversen mehr, nur noch läppisch inszenierte Schaukämpfe für ein anspruchsloses Publikum.

War es einstmals wenigstens noch „chic“ gewesen, links zu sein, weil man sich damit vom Biedersinn akurater Bürgerlichkeit und vom Zwang alteingeschliffener Tugenden abheben konnte, so bleibt einem ehrgeizigen Schriftsteller heute nicht einmal dieser Trost der Exklusivität und der Besonderheit. Denn links sind heute „alle“, nicht zuletzt das „gehobene Bürgertum“ und die ihm zugeordneten politischen Kräfte, die das zugehörige Phrasenarsenal sogar mit der besonderen Inbrunst der Frischbekehrten herunterrasseln und es fertigbringen, dabei einen frommen Augenaufschlag vorzuführen.

Es wird wirklich Zeit, daß sich die Dinge ändern. Freuen über den derzeitigen Zustand kann sich niemand mehr, es sei denn der KPI-Stratege Antonio Gramsci mit seinem Kindergesicht und seinen Sandkastenhändchen. Doch der ist seit fünfundsiebzig Jahren tot.

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