© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Keine Satrapen Amerikas
Pakistan: Zivilregierung Zardari unter Druck islamischer Hardliner und unzufriedener Militärs
Günther Deschner

Tote bei Gefechten in Stammesgebieten in Nordwestpakistan.“ – „Selbstmordkommando stürmt Polizeistation.“ – „Gefecht von Islam-Rebellen mit Armee.“ „Pakistan unterhält Bündnis mit Taliban.“ Allein die Meldungen der letzten Wochen signalisieren, daß Pakistans staatliche Ordnung derzeit der Erosion ausgesetzt ist wie nie zuvor in der Geschichte des erst 1947 aus den mehrheitlich muslimischen Teilen Britisch-Indiens entstandenen Staates, der sich 1956 zur ersten Islamischen Republik der Erde ausrief.

Seit seiner Unabhängigkeit ist Pakistan Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen um die beanspruchte Kaschmir-Region sowie zwischen konkurrierenden Volks- und islamischen Glaubensgruppen. Die US-Invasion in Afghanistan hat die inneren Spannungen in Pakistan rasant beschleunigt.

Derzeit steht die Zivilregierung unter Präsident Asif Zardari und Premier Jousaf Raza Gilani in einer doppelten Kontroverse – einerseits mit dem Obersten Gericht Pakistans, andererseits mit der mächtigen Armee. Der Ärger mit dem Gericht schwelt schon seit 2009. Damals entschied die Justiz, die Amnestie, welche Zardari zwei Jahre zuvor erhalten hatte, sei ungültig. Sie sei auf Druck der USA zustande gekommen, als diese versuchten, eine Rückkehr zu einem sich demokratisch präsentierenden Regime zu bewirken, das den Militärdiktator, General Musharraf, ablösen sollte.

Bei der Affäre geht es um neun Millionen Euro Bestechungsgelder, die Zardari und seine 2007 ermordete Frau Benazir Bhutto beiseite geschafft haben sollen. Mitte Februar erhob das Oberste Gericht nun auch Anklage gegen Gilani wegen dessen Weigerung, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Im Fall seiner Verurteilung drohen ihm sechs Monate Haft.

Neben dem Streit mit der Justiz schwelt ein Konflikt zwischen Regierung und Militär. In der „Memogate“ genannten Affäre geht es um eine Note, die ein Vertrauter Zardaris nach der Liquidierung Osama bin Ladens durch ein US-Kommando an Washington übermittelt haben soll. Darin soll er die USA um Hilfe bei einem eventuell bevorstehenden Militärputsch gebeten haben.

Brisante politische Spannungen strategischer und außenpolitischer Natur kommen dazu. Der Nato-Luftangriff auf eine pakistanische Grenzstation Ende letzten Jahres, der 24 Soldaten das Leben kostete, gab den Ausschlag. Die pakistanische Armee wollte sich diesmal nicht mit einer bloßen Entschuldigung zufriedengeben. Die Regierung in Islamabad stimmte nolens volens zu.

Der blutige Zwischenfall kam nach einer langen Periode wachsender Spannungen zwischen den beiden „Verbündeten“. Grenzzwischenfälle und Drohnenangriffe, die pakistanischen Soldaten und viele Zivilisten das Leben kosteten, sind einer der Gründe für die wachsende Mißstimmung. Andere Gründe liegen in der doppelbödigen Politik der pakistanischen Armee und „ihrer“ Regierung. Beide sind bemüht, ihre Verbindungen zu den Taliban und anderen islamistischen Kampfgruppen nicht abzubrechen, vermutlich in der Absicht, die bewaffneten Extremisten auch in Zukunft als politische Instrumente ihrer Indien- und Afghanistanpolitik einzusetzen. Auf der anderen Seite pflegen sie das Bündnis mit den Amerikanern im „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan.

US-Stellen beklagen immer öffentlicher, daß die pakistanische Armee nicht genügend täte, ihr Grenzgebiet unter Kontrolle zu halten und die dortigen Rückzugszonen pakistanischer und afghanischer Terroristen und Taliban auszuräumen. Die Pakistani entgegnen, ihre Armee habe viel größere Verluste im „Krieg der Amerikaner“ zu beklagen als diese selbst, von den zivilen Opfern ganz abgesehen. Sie rechnen auch vor, daß der Krieg in den Grenzregionen den pakistanischen Staat bisher 60 Milliarden Dollar gekostet habe, gegenüber nur etwa 1,5 Milliarden jährlich, die sie von den USA erhielten. Es wächst das Gefühl, die Pakistani seien zu einer Art Söldner Amerikas in einem Krieg geworden, der dem Land mehr Schaden als Nutzen bringt. Umfragen zufolge stufen inzwischen 63 Prozent der Pakistani die US-Truppen eher als Feinde denn als Freunde ein.

Dazu kommt, daß Washington begonnen hat, direkt mit den afghanischen Taliban zu verhandeln. Die pakistanischen Behörden, insbesondere der Geheimdienst ISI, sind stets darauf bedacht gewesen, bei Verhandlungen über die Zukunft ihres Nachbarlandes führend beteiligt zu sein. Sie sehen sich nun von den USA übergangen.

Inmitten der Krise ist nun mit dem populären Cricket-Star Imran Khan ein neuer Politiker auf den Plan getreten – mit der Gründung der Partei „Pakistan Tehreek-e-Insaf“ („Rettungsbewegung“), die bereits regen Zulauf findet und bei den 2013 stattfindenden Wahlen antreten will. Die Medien spekulieren darüber, daß die Armee darauf hinarbeite, Zardari abzusetzen und Imran Khan zu seinem Nachfolger zu erheben. Eine solche Lösung würden die Offiziere in der gegenwärtigen Lage wahrscheinlich vorziehen, weil sie ihnen erlauben könnte, ihre bisherige Rolle als politischer Faktor weiter zu spielen. Selbst die Macht zu übernehmen, dürfte derzeit bei den wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, außen- und innenpolitisch wachsenden Schwierigkeiten  nicht attraktiv sein.

Foto: Antiamerikanischer Protest in Karatschi: Umfragen zufolge stufen inzwischen 63 Prozent der Pakistani die US-Truppen als Feinde ein

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