© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

„Stütze des NS-Regimes“
Geschichtspolitik: Mit fragwürdigen Argumenten wird in Münster von der Stadtführung die Umbenennung des Hindenburgplatzes vorangetrieben
Daniel Schleiter

Der Hindenburgplatz in Münster in Westfalen ist eine der größten innerstädtischen Freiflächen in Europa. Er trennt das fürstbischöfliche Schloß, heute Westfälische Wilhelms-Universität, von der Altstadt. Lange hieß der Platz schlicht „Neuplatz“, seit 1928 trägt er den Namen Hindenburgplatz.

Vorstöße, den Platz umzubenennen, gibt es seit den achtziger Jahren. Aus der Einsicht, daß diese Maßnahme bei den Münsteranern höchst unpopulär sein würde, wurden sie allesamt in der Schublade gelassen. Doch nun hat sich das Blatt gewendet. Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) hat 2011 eine Historikerkommission mit einem Gutachten über das Verhältnis Münsterscher Straßennamen zum NS-Regime beauftragt. Dabei wurde schnell klar, daß der Hindenburgplatz zum zentralen Thema einer Umbenennungswelle werden würde. Obwohl sich bei allen Umfragen der Lokalzeitungen eine große Mehrheit gegen die Umbenennung des Platzes aussprach, setzte sich Lewe als Vorsitzender an die Spitze der Kommission und erklärte, er verknüpfe sein politisches Schicksal mit dieser Entscheidung. Das Motiv für diesen Schritt ist nicht bekannt.

Die Historiker der Kommission stammen aus dem linken Spektrum. Alfons Kenkmann ist Vorsitzender des Verbandes der NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen. Ulrich Thamer lehrt als Professor Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Nationalsozialismus, über den er 2002 ein Buch veröffentlichte. Rainer Decker ist Geschichtslehrer in Paderborn und gilt als Experte für die Geschichte der Hexenverfolgung. Nach den Forschungen der drei Akademiker müsse die Rolle Hindenburgs bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler neu bewertet werden. Hindenburg, so Lewe und die Kommissare, sei nun als „Stütze des NS-Regimes“ anzusehen. Eine Ehrung durch die Benennung des zentralen und exponierten Platzes vor Münsters Schloß sei darum nicht mehr tragbar.

Die Bürger folgten der Erkenntnis nicht. Die Umfragen blieben eindeutig. Auch Alternativvorschläge (etwa Loriot-Platz) wurden in Leserabstimmungen abgelehnt. Bei einer öffentlichen Diskussion vor rund 50 Bürgern mußten sich Thamer und Kenkmann lautstarkem Protest aussetzen.

Durch die emotionale und hitzige Debatte verunsichert, kündigte Lewe Ende Januar eine Bürgerbefragung per Brief an. 5.000 vom städtischen Amt für Statistik ermittelte Bürger erhielten einen Fragebogen. Dieser enthielt die Frage: „Nach neueren quellengestützten Forschungsergebnissen ist der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg als Stütze des NS-Regimes anzusehen. Besteht heute noch ein Anlaß, Hindenburg durch die Namensgebung für den größten Platz Münsters zu ehren?“

 Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid, Klaus Schöppner, bezeichnete die Formulierung öffentlich als „nicht fair“ und „nicht objektiv“. Die Münsteraner sahen das offenbar ähnlich. Nur 18 Prozent der Angeschriebenen stimmten für die Umbenennung. Lewe hatte sich jedoch ein Hintertürchen aufgehalten und erklärt, die Briefumfrage sei für den Beschluß nicht bindend.

Am Mittwoch vergangener Woche stimmte der Stadtrat in geheimer Wahl ab. 23 Mitglieder der CDU-Ratsfraktion hatten zuvor angekündigt, gegen die Umbenennung und damit anders als ihr OB zu stimmen. Das Abstimmungsergebnis bestätigte diese Ankündigung. Damit heißt der Hindenburgplatz nun „Schloßplatz“. Bei den abschließenden Erklärungen verstieg sich SPD-Fraktionschef Michael Jung zu der grotesken Aussage: „Wir haben die Geschichte nicht vergessen, auch nicht, daß viele Mitglieder unserer Partei damals in Konzentrationslagern gefoltert worden sind. Hindenburg hat das mit seinen Entscheidungen gedeckt.“

Doch es regt sich Widerstand in der Stadt. Eine Initiative hat am Tag nach dem Ratsbeschluß auf einer Pressekonferenz ein Bürgerbegehren gegen die Umbenennung angekündigt. Die Initiatoren sind der Rechtsanwalt Stefan Leschniok, der frühere Richter am OLG Hamm Klaus Gottwald sowie der ehemalige Verwaltungsdirektor der Universität, Herbert Kober. Unterstützt werden sie von zwei emeritierten Geschichtsprofessoren – und der Jungen Union. Um eine Bürgerbefragung durchzusetzen, hat die Initiative nun drei Monate Zeit, um die erforderlichen  9.500 Unterschriften zu sammeln, was vier Prozent der Wahlberechtigten in Münster entspricht.

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