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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/12 23. März 2012
Der Flaneur Mitten in der Nacht, Viertel vier, Autofahrt durch eine große Stadt. Draußen herrschen wieder Minusgrade, aber im Auto weht mir die Hitze des Gebläses ins Gesicht. Eine rote Ampel, Vollmond, Laternen, Verkehrsschilder reflektieren die Lichter, eine Plakatwand und ein paar Schaufenster sind hell erleuchtet. Das größte Schaufenster gehört zum Supermarkt, dem unfaßbaren Schlaraffenland ewig haltbarer Nahrungsmittel. Die Rotphase dauert, ich nehme den Gang raus, hebe den linken Fuß von der Kupplung, der rechte bleibt auf der Bremse. Blick in den Rückspiegel, niemand hinter mir. Ich nehme meine rechte Hand vom Schalthebel, fahre mir mit den Fingern in den Haaransatz, drehe die Hand nach links und führe sie über die Stirn, die sich schließenden Augen, Nase, Mund, bis zum unrasierten Kinn. Dabei atme ich durch die Nase ein und rieche die parfümierte Seife an meiner Handinnenfläche, kurz bevor ich dort die Stoppel auf meinem Kinn fühle. Ich bin so müde. „Gelassen führt er einen Lappen über die Regale, ohne große Eile, ohne große Konzentration.“ Ich öffne die Augen und werde auf einmal eines Mannes gewahr, der sich hinter der Schaufensterscheibe des Supermarktes bewegt. Er steht dort auf einer Leiter und putzt. Er putzt! Er macht den Supermarkt sauber. Ich öffne meinen Mund, drehe das Gebläse herunter, und schaue noch mal genauer hin. Mit gelassenem Gesichtsausdruck führt er einen Lappen über die Regale, ohne große Eile, ohne große Konzentration. Dann schaue ich wieder auf die Ampel, sie ist schon grün, linker Fuß tritt die Kupplung, rechte Hand legt den ersten Gang ein, Blick in den Rückspiegel, immer noch niemand hinter mir, rechter Fuß hebt sich von der Bremse, ich setze mit der rechten Hand den Blinker, Kupplung kommen lassen, Gas geben, lenken. Mir kommt ein Streifenwagen entgegen, auf der anderen Straßenseite wartet ein Zeitungsausträger mit seinem Motorroller. |